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Lichtjagd

Lichtjagd

Titel: Lichtjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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hast deine Freunde versammelt, und dann seid ihr wie kleine Spielzeugsoldaten hier rausmarschiert, ohne Fragen zu stellen, weil du mein ›Freund‹ bist, häh?« Das Wort Freund war von grausam ironischen Fragezeichen eingerahmt.
    »Das ist eine beschissene Art, es auszudrücken«, sagte Cohen.
    »Oh, meinst du?« Gavi deutete mit dem Kinn auf das Durcheinander von Computerteilen, die sich in den Schatten auftürmten. »Weiß Didi, dass ich ein registrierter Spieler bin? Nein, keine Sorge, ich werde dir die Frage beantworten. Er weiß es. Er weiß es, weil ich es in den Berichten erwähnt habe, die ich schrieb, als ich noch dein Einsatzleiter war. Und ich habe es ihm gesagt, damit er etwas in der Hand hatte, um dich zu kontrollieren. Und genau das tut er jetzt. Oder willst du mir etwa sagen, dass mir etwas entgangen ist?«

    »Nein, Gavi. Du kennst alle Tricks.«
    Hy Cohen hatte etwas Schreckliches getan, als er diese unschuldigen kleinen Zeilen Spielcode in Cohens Kernarchitektur einfügte. Und dann hatte er sich während der Unterbrechung hinausgeschlichen, und es hatte ihn erwischt, bevor seine wertvollste Schöpfung herausfand, wie schmerzhaft verwirrend es war, in einer Welt voller fremdartiger und geliebter Menschen zu leben.
    Cohen liebte Gavi – oder, was auf das Gleiche hinauslief: Gavi war ein registrierter Spieler. Er konnte es nicht ertragen, wenn er zusehen musste, wie ein Freund sich innerlich zerriss. Anders ausgedrückt: Er war darauf programmiert, seine Fuzzy-Logic-Schaltkreise beim Empfang negativer affektiver Stimuli von registrierten Spielern neu zu gewichten. Er war loyaler als die meisten loyalen Freunde, selbstloser als der leidenschaftlichste Liebhaber. Aber wenn man sich den Quellcode anschaute, sprang es einem sofort ins Auge: keine Liebe, sondern ein rekursiver Algorithmus, der ihn veranlasste, die Spieltaktik anzupassen, um die Höchstzahl positiver emotionaler »Treffer« zu erzielen.
    Und es wurde alles noch schlimmer, wenn man wusste, dass der Code, der ihn zu diesem Handeln nötigte, kein Zufallsprodukt der Evolution oder natürlichen Selektion oder des Drucks von Umweltfaktoren war, sondern die persönliche Entscheidung eines streitbaren, kleinen französischen Juden, der die Chuzpe hatte, einem den Schlüssel zur eigenen Seele in die Hand zu geben und einen aufzufordern, das ganze System von Grund auf neu zu schreiben, wenn man meinte, dass man es besser konnte als er.
    »Ich bin wirklich dein Freund«, protestierte Cohen, von dem demütigenden Gefühl verfolgt, dass er sich ebenso mit Hyacinthe wie mit Gavi stritt. »Warum musst du mich bis auf meine logischen Schaltkreise auseinandernehmen, um zu begreifen, was das bedeutet? Ich tu nichts anderes, als man von einem Freund erwarten kann.«

    »Also, das ist wirklich lustig, Cohen.« Alle Gefühle hatten sich aus Gavis Stimme verflüchtigt, was sie so kalt und unpersönlich klingen ließ wie das Skalpell eines Chirurgen. »Da wir uns schon über das Thema Freunde unterhalten, sollte ich dich vielleicht auf etwas hinweisen, das deiner Aufmerksamkeit entgangen zu sein scheint. Ich habe keine Freunde.«
    »Sie waren keine richtigen Freunde«, flüsterte Cohen, den es danach drängte, den selbstzerstörerischen Ausdruck aus Gavis Gesicht zu tilgen. »Du bist hundertmal mehr wert als sie.«
    »Niemand ist so viel wert!«, schnauzte Gavi. Und dann waren alle Schleusentore geöffnet. »Für wen hältst du dich, für diesen dämlichen Graham Greene, der sich darüber auskotzte, dass Kim Philby mehr wert sei als die armen Teufel, die er für sich in den Tod geschickt hatte? Meinst du, dass ich mehr wert bin als Osnat? Oder Li? Oder der arme kleine Roland hier? Offensichtlich. Du hast sie in ein Kriegsgebiet gezerrt, weil Didi dir gesagt hat, dass ich eine Schulter zum Ausweinen brauche.«
    »So einfach ist das nicht.«
    »Nicht? Nenn mir ein Indiz, das klar beweist, dass ich nicht Absalom bin. Nenn mir einen Grund, der dagegen spricht, dass ich diese Kinder in Tel Aviv in den Tod geschickt habe.«
    »Hör auf, Gavi.«
    Aber Gavi hörte nicht auf. »Lösch mich von der Liste der registrierten Spieler.«
    Cohen schnappte nach Luft. Was Gavi vorschlug, wäre schon haarsträubend kompliziert gewesen, als Hyacinthe den ursprünglichen Code schrieb. Drei Jahrhunderte später war es undenkbar. Es würde bedeuten, all die verschlungenen Fäden herauszureißen, die Gavi mit Cohens Vergangenheit verbanden, jedes Gespräch, das sie geführt, jeden

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