Lichtjagd
Katze. Schließlich fiel die Zigarette herunter, und Roland schlug die Augen auf. Sein Gesicht so völlig ausdruckslos, dass sie sich für einen surrealen Moment fragte, ob Cohen noch online war.
»Mit einem harmlosen Techtelmechtel kann ich leben«, sagte er mit einer Stimme, die sie in tiefster Seele traf. »Vielleicht sogar mit einer nicht so harmlosen Affäre. Aber ich will nicht belogen werden .«
Seine Worte hingen in der Luft wie eine jener hellen, phosphoreszierenden Leuchtkugeln, die bei Nacht über der Grünen Grenze aufleuchteten. Ash. Himmel, der Gedanke war ihr nie gekommen. Glaubte Cohen wirklich, dass sie ihn für ein Paar langer Beine und ein hübsches Gesicht betrügen würde? Der Gedanke war abstoßend. Empörend. Demütigend.
Aber das dringende Bedürfnis, Cohens Verdacht zu entkräften, kollidierte in ihr mit der Einsicht, dass er ihr gerade ein hieb- und stichfestes, unüberprüfbares Alibi für ihre Treffen mit Nguyens Kontaktperson verschafft hatte.
Diese Chance konnte sie sich unmöglich entgehen lassen.
Oder doch?
»Ich wollte es dir sagen«, sagte sie, und bei der Lüge krampfte sich ihr Herz zusammen.
»Natürlich.«
»Es tut mir leid.«
»Nicht nötig.« Seine Stimme klang gelassen und angenehm, doch als sie sich über das Intraface an ihn herantastete, wollten seine Firewalls ihren Implantaten nicht einmal ein Handshake erlauben.
»Trinken wir ein Glas«, sagte er, ohne auf den abgebrochenen Kontaktversuch auch nur zu reagieren.
Ihre Blicke trafen sich. Li erstarrte. Cohen lächelte.
Nur war es kein richtiges Lächeln. Es war ein höfliches, freundliches, unpersönliches Lächeln, mit dem er zum Ausdruck brachte, dass er jemanden so völlig abgeschrieben hatte, dass er es nicht einmal der Erwähnung für wert hielt. Sie hatte ihn schon zweimal so lächeln sehen, und beide Fälle gehörten nicht zu ihren angenehmsten Erinnerungen. Sie hätte nie gedacht, dass ein solches Lächeln einmal ihr gelten würde.
»Gute Idee.« Sie nahm die Cocktailkarte und gab vor, sie sich anzusehen. »Wie ist denn nun dein Plan?«
»Ich habe keinen Plan. Wir werden uns mit Fortuné unterhalten, dann sehen wir weiter.«
»Und wo werden wir uns mit dem Mann unterhalten?«
»In der Internationalen Zone. Fortuné besitzt dort eine beliebte Bar, ein kleines Lokal namens Sauve Qui Peut.«
Das Sauve Qui Peut war eine Legionärsbar: billiges Bier, ein durchdringender Geruch nach Steaks und Frites und die rauchigen Stimmen von Brel und Bénabar aus Lautsprechern, die schon gedröhnt hatten, bevor die ältesten Stammgäste in die Internationale Zone gewechselt waren.
Im hinteren Teil der Bar war ein Schrein mit einem wirren Durcheinander von Legionsandenken zur Schau gestellt: 2D-Fotos und Hologramme von Soldaten, die durch angeschwollene tropische Flüsse wateten oder aus altertümlichen Flugzeugen absprangen oder mit den mittelalterlichen Streitäxten und Schlachterschürzen marschierten, die die Väter der Legion (wobei einige davon genaugenommen Mütter waren) an Paradetagen trugen. Die Hauptattraktion des Schreins war eine antike, handkolorierte Fotografie von Colonel Danjous berühmter Hand, so riesig, dass die Schrauben, die die Metallscharniere mit den Holzfingern verbanden, aus zwanzig Schritt Entfernung zu erkennen waren. Das Lokal war brechend voll, aber rings um den hintersten Tisch war Platz. Und in dem Moment, als er mit Li eintrat, konnte Cohen erkennen, dass Fortuné im Schatten auf sie wartete.
»Bienvenues en l’Enfer« , sagte Fortuné und stand hinter dem Tisch auf, um sie zu begrüßen. Er lächelte freundlich, aber der Blick hinter diesem Lächeln war so scharf und präzise wie die Falten in seinem Hemd.
Wenn das Sauve Qui Peut die typische Legionärsbar war, dann war Oberst Jean-Luis Fortuné der perfekte Legionär, ein Meter fünfundsiebzig groß in dicken Socken und mit Spucke polierten Fallschirmspringerstiefeln und kein Gramm Fett an seinem drahtigen Körper, außer in seinem kaffeefarbenem Baby-Gesicht, das ein Erbe seiner haitianischen Vorfahren war; ein schwarzer Gürtel im Judo, fünfter Dan; ein unverbesserlicher, aber äußerst diskreter Schürzenjäger – so wurde jedenfalls hinter vorgehaltener Hand in den Baracken erzählt. Sein Haaransatz hatte sich bereits zurückgezogen, als Cohen ihn kennenlernte, und allmählich wurde er auf diese distinguierte Weise kahl, die für die Augen der Franzosen der Ausweis eines intelligenten, gebildeten und vitalen Mannes
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