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Lichtjagd

Lichtjagd

Titel: Lichtjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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würde, Cohen war.
    »Du weißt doch sicher, wie verrückt das ist, nicht?«, sagte Cohen schließlich. Oberflächlich deutete diese Bemerkung nur auf ein technisches Problem hin, aber beide wussten, dass damit ein moralisches Problem zusammenhing: Wie konnte ein KI-Designer ein empfindungsfähiges Wesen nur zu dem Zweck erschaffen, dass es für die Dauer seiner Existenz von Erinnerungen geplagt wurde, die so viele Menschen in Verzweiflung und Selbstmord getrieben hatten? Das Ziel mochte
idealistisch und selbstlos sein, aber für die neugeborene Emergente KI, die mit diesen Erinnerungen klarzukommen versuchte, wäre die Wirklichkeit genauso brutal wie das, womit EMET an der Grünen Grenze zu tun hatte.
    »Du bist immer so ermutigend!«, sagte Gavi, der es vorzog, der nicht technischen Frage auszuweichen. »Weißt du denn nicht, dass du die kleinen Bundstiftkritzeleien, die dein Kind aus der Schule mitbringt, an den Kühlschrank hängen und ihm nicht eine Lektion in Kunstgeschichte erteilen solltest? «
    »Ich habe nie Kinder gehabt. Schon komisch, was? Na ja, vielleicht auch nicht. Die Leute, die mich heiraten, sind gewöhnlich nicht die Frauen, die sich niederlassen und 3,2 Kinder in die Welt setzen.« Er wandte sich wieder dem Quellcode zu. »Ganz ehrlich, Gavi, viel ist nicht mehr daran zu tun, damit es funktioniert. Was dich ermutigen sollte, wenn man bedenkt, dass es drei Jahrhunderte her sein muss, seit ein nicht prothetisierter Mensch zuletzt versucht hat, nicht trivialen Quellcode zu schreiben. Wo hast du eigentlich die SCHEME-Handbücher gefunden?«
    »Im Mülleimer.«
    »Im Ernst?«
    »Im Ernst.«
    »Tja, ich schätze, das erklärt den Geruch.«
    Sie besprachen das Problem einige Minuten lang, gingen Gavis verschiedene falsche Ansätze durch sowie das, was er daraus gelernt hatte, und wie der aktuelle Stand des Projekts war, das Cohen jetzt scherzhaft Gavis Golem nannte.
    »Darf ich dich etwas fragen?«, sagte Gavi schließlich. »Über deinen Besuch letzte Woche, nicht über das hier.«
    »Klar.«
    »Woran ist die EBKL interessiert? Was ist das eigentliche Ziel?«
    »Mein persönliches oder das der EBKL?«
    »Beides.«

    »Die EBKL ist an der Technik interessiert, insofern sie an allem interessiert ist, was auf eine irgendwie organisierte Weise daherkommt.«
    »Und du?«
    Die KI seufzte. Er hat das Seufzen nie richtig hinbekommen, dachte Gavi. Selbst die ehrlichsten Seufzer klangen falsch. Eigenartig, dass solche Kleinigkeiten selbst der besten Wetware entgingen. Vielleicht war das Problem aber gar nicht die Wetware. »Ich bin hinter Absalom her.«
    »Tut mir leid, das zu hören, Cohen. Und es tut mir sehr leid, dass Didi dich da hineingezogen hat.«
    »Und was ist mit dir, Gavi? Was ist dein eigentliches Ziel? Warum bist du immer noch hier, wenn dort draußen ein ganzes Universum ist, das nicht weiß, dass du den Staat Israel verraten hast? Wenn du in den Ring auswanderst, könntest du vielleicht sogar ein richtiges Bein bekommen.«
    »Nicht mehr. Um mit Viralchirurgie etwas ausrichten zu können, hätten sie mich innerhalb von zweiundsiebzig Stunden in den Ring verfrachten müssen. Und außerdem hätte ich mein neues Bein nicht mit nach Hause nehmen dürfen, oder?«
    »Darauf wollte ich hinaus, falls es dir entgangen ist.«
    »Ich habe sechs Monate im Ring verbracht.« Gavi rümpfte die Nase, als er sich an die gekrümmten, antiseptischen, künstlich beleuchteten und mit Kunststoff verkleideten Korridore erinnerte, die die Ringbewohner als »draußen« bezeichneten. »Man kann den Jungen außer Landes bringen, aber …«
    »Nun, es gibt auch andere Planeten, wenn dir das Leben in den Orbitalstationen nicht gefällt.«
    »Andere Planeten riechen komisch.«
    Es war ein Scherz, zumindest teilweise. Aber Cohen gab nicht zu erkennen, ob er es bemerkt hatte. Er war seltsam stumm geworden. Und als Gavi aufblickte, starrte die KI ihm tief in die Augen.
    »Suchst du immer noch nach Joseph?«, fragte Cohen.

    »Natürlich. Aber es ist nicht mehr so wie früher. Als er sieben, acht, zehn war, wollte ich ihn unbedingt finden. Jetzt müsste er schon ein junger Mann sein, falls er … Nun, ich habe das bohrende Gefühl, dass ich ihn jetzt meinetwegen suchen würde, nicht seinetwegen. Das bedeutet zwar nicht, dass mir die Suche weniger wichtig geworden ist, aber das macht sie weniger dringlich.«
    »Hilft Didi dir immer noch dabei?«
    Gavi blickte auf und stellte fest, dass Rolands sanfte, nussbraune Augen auf ihn

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