Lichtjagd
Sicherheitsvorkehrungen. Und es war kein Profi erforderlich, um einem eine Kugel durch den Kopf zu schießen. Das hatte er in Tel Aviv gelernt, auch wenn er dabei sonst nichts gelernt hatte, das irgendwem auf Erden von Nutzen war.
Er arbeitete sich die König-David-Straße entlang und hinüber zum Stadtturm, wo er die Schmuckauslagen durchstöberte, in einer Runde zum Eingang zurückkehrte und im letzten Moment kehrt machte, als sei ihm plötzlich eingefallen, dass er noch etwas brauchte. Schließlich ging er zur Herrenabteilung zurück, wo er eine Reihe von unverzeihlich grellen Hemden anprobierte.
Der Verfolger war immer noch da, als er zum dritten Mal aus der Umkleidekabine kam, und tat so, als interessiere er sich mächtig für eine Auswahl neuer Socken.
»Sie sind wohl neu, was?«, fragte Gavi.
Der arme Junge machte ein Gesicht wie ein Schüler, den man im Unterricht beim Spicken erwischt hatte.
»Was halten sie von dem Hemd? So schlimm, ja? Übrigens, wie geht’s Didi?«
»Ich, äh … ich glaube, Sie verwechseln mich mit jemandem. «
Gavi starrte ihm in die blauen Augen, bis er den Blick sinken ließ. »Nein. Sie haben mich mit jemandem verwechselt. Mit einem Idioten. Nehmen Sie einfach ihre beiden kleinen Freunde, traben Sie ins Amt zurück und richten Sie Didi aus,
wenn er wissen will, wohin ich gehe, soll er mich einfach fragen.«
Als er das nächste Mal aus der Umkleidekabine kam, war der Junge verschwunden. Aber um sicher zu sein, kaufte er ein weißes Button-Down-Hemd und zog es sich über. Sein altes LIE 4 -T-Shirt faltete er sorgfältig zusammen und steckte es in den Beutel, den die Verkäuferin ihm gab. Er verließ den Laden inmitten einer Meute von Touristen und warf den Beutel in den nächsten Abfalleimer – nicht ohne Bedauern, weil er das T-Shirt immer gemocht hatte. Dann umging er einen IAS-Unterschlupf, von dem er vermutete, dass er noch aktiv war, vergewisserte sich ein letztes Mal, dass seine Babysitter nach Hause gegangen waren, und bog schließlich in die König-David-Straße ein.
»Was macht dein Bein?«, fragte Cohen und schob Gavi in eine Hotelsuite, die seine Mutter zu lautem Wehklagen über entfesselten Kapitalismus und den Tod der Kibbuznik-Mentalität veranlasst hätte.
»Ach, gut«, sagte Gavi. Solche Fragen brachten ihn immer etwas aus dem Gleichgewicht – oder erwischten ihn auf dem falschen Fuß, wie er gesagt hätte, wäre ihm nicht längst klar geworden, dass andere Leute Scherze über sein Bein nicht so brüllend komisch fanden wie er selbst.
Die Leute redeten immer über Phantomschmerzen, aber Gavi hatte nie welche gehabt. Was er in letzter Zeit vor allem empfand war … etwas Unheimliches. Der tiefe visuelle Schock, wenn er ab und zu an sich hinuntersah und feststellte, dass sein Bein zehn Zentimeter unter seinem rechten Knie aufhörte … und dass er es zwischendurch vergessen hatte. Oder in letzter Zeit auch amüsante Momente, wenn er auf seinen verbliebenen Fuß aus Fleisch und Blut hinuntersah und das Gefühl hatte, dass ein solches Ding (ein Fuß? Zehen? mit Fußnägeln? ) sehr viel unnatürlicher und absurder war als eine schöne, saubere Keramstahl-Konstruktion;
dass die fortdauernde Existenz von Füßen im Allgemeinen nur ein Symptom für eine kollektive menschliche Neurose sein konnte.
»Willst du’s nicht hochlegen? Nein? Kann ich dir denn wenigstens etwas zu trinken bringen?«
»Auf jeden Fall.« Er sah Cohen, der noch undurchschaubarer wirkte als sonst, skeptisch an. »Alles in Ordnung? Du bist mal wieder wie ein Eisblock.«
»Es ist nichts.«
Ein Nichts namens Catherine Li, wenn Gavi richtig vermutete.
»Also erzähl mir von deinem Golem«, sagte Cohen. »Ich brauche ein bisschen Erheiterung in meinem Leben.«
Gavi erklärte ihm seine Idee, ging mit ihm Codefragmente durch, die er in den letzten Jahren mühsam zusammengeflickt hatte, erläuterte ihm die Teile, die nicht funktionieren wollten oder bei denen er sich nicht für eine von mehreren möglichen unzureichenden Lösungen entscheiden konnte. Er präsentierte das Ganze als ein Problem der Programmierung, das er einer höheren Autorität vorlegte. Was durchaus berechtigt war, denn Cohens Fähigkeiten auf diesem Gebiet stellten jeden Menschen in den Schatten. Er erwähnte nicht, was die KI wahrscheinlich schon beim ersten Blick auf den Quellcode bemerkt hatte: dass der Leim, der alles miteinander verband und ohne den dieser unmögliche, zustammengestückelte Murks nie funktionieren
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