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Lichtjagd

Lichtjagd

Titel: Lichtjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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gerichtet waren. Wenn er mit Cohen redete, wurde ihm stets bewusst, wie sehr er, so wie alle Menschen, den Leib mit der Seele verwechselte. In technischer und intellektueller Hinsicht war ihm klar, dass nur junge und sehr gesunde Körper einer Belastung standhalten konnten, die jeder Programmierer sofort als biologische Entsprechung zu einem übertakteten Prozessor erkannt hätte. Aber er konnte trotzdem den Schauer nicht unterdrücken, der ihn durchfuhr, wenn er in die weit aufgerissenen, jungen Augen eines Overlay-Wirts schaute und das Gesicht des Schwarms sah. Und er staunte immer wieder darüber, wie Cohen es fertigbrachte, mit den fünf schwachen Sinnen, die den meisten Menschen genügen mussten, die Gedanken seines Gegenübers zu lesen.
    »Wenn du wissen willst, was Didi tut oder nicht tut«, sagte Gavi, »solltest du besser Didi fragen.«
    Cohen schien die Antwort zu akzeptieren. »Es ist nur so«, sagte die KI, »ich werde irgendwie das Gefühl nicht los, dass deine Besessenheit, was den Erhalt des Archivs angeht, ein klein wenig mit Leila und Joseph zu tun hat.«
    »Manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre, Cohen.«
    »Ach, mein Gott! Zitiert ihr Menschen immer noch Freud? Wann werdet ihr denn endlich erwachsen?«
    Aber Gavi war nicht in der Stimmung für Scherze. »Hast du je einen der Zeitzeugenberichte gelesen?«
    »Ich habe genug gelesen, um zu wissen, dass ich nicht mehr lesen will.«

    »Eine seltsame Sache, diese Berichte. Nach einer Weile ist man wie betäubt von der schieren Anzahl, all den schrecklichen Ereignissen. Und dann liest man einen, der einem unter die Haut geht und alles wieder real macht. Es gab einen Mann, der mit seiner ganzen Familie nach Theresienstadt ging: Mutter, Vater, zwei Brüder. Die ganze Familie erhielt aufeinanderfolgende Nummern. Der Vater des Jungen hatte die Nummer soundso fünfhundertzwanzig. Er selbst war fünfhunderteinundzwanzig, der nächste Bruder fünfhundertzweiundzwanzig, der übernächste fünfhundertdreiundzwanzig. Aber seine Mutter war schwanger, deshalb zog man sie aus der Schlange und schickte sie sofort in die Gaskammer, ohne ihr eine Nummer zu geben.
    Der älteste Sohn hat als Einziger überlebt. Er ging nach Amerika, baute sich ein Leben auf, ein gutes Leben. Aber als er ungefähr das Alter seiner Eltern zum Zeitpunkt ihres Todes erreicht hat, quälen ihn auf einmal schreckliche Albträume über seine Mutter. Er ist ganz besessen von der Tatsache, dass die Deutschen ihr keine Nummer gegeben haben, dass ihr Tod nirgendwo belegt ist, dass es keinen Beweis gibt. Damit du mich nicht falsch verstehst: er glaubt nicht, dass sie noch am Leben ist. Er sah, dass sie in die Schlange mit den nicht arbeitsfähigen Personen geschickt wurde, und er macht sich keine Illusionen, was das bedeutet. Aber er kann den Gedanken nicht verkraften, dass sie einfach … verschwunden ist.
    Also spart er Geld. Er kehrt nach Polen zurück. Er setzt Anzeigen in die Zeitungen, buchstäblich jahrelang, bietet jedem eine Belohnung an, der ihm ein Foto seiner Mutter geben kann, der sich auch nur an sie erinnert. Er bekommt nie eine Zuschrift. Diese Frau war aufgewachsen, hatte die Universität besucht, hatte an einer Grundschule unterrichtet, war eine Tochter, eine Frau und eine Mutter gewesen. Aber es war so, als habe sie nie existiert. Die Deutschen hatten sie einfach aus dem Angesicht der Geschichte getilgt.

    Das ist es, was mit den Zeugenaussagen geschieht, Cohen. Als ich das Museum übernahm, hatten wir bereits vierhunderttausend Dateien unwiderruflich verloren. Der Rest verschwindet nach und nach. Es ist nur eine Frage der Zeit. Ich will sie retten. Nicht bloß für heute. Für immer.«
    Er blickte auf und sah, dass Cohen ihn anstarrte.
    »Ich weiß. Ich weiß, du glaubst, dass ich meine Zeit verschwende. Aber, Cohen, ich bin der erste Verwalter, der tatsächlich die Fachkenntnisse hat, um das Problem zu lösen, statt endlos unbeantwortete Spinmails an das Etatbüro der Knesset zu schicken, in der Hoffnung auf ein Budget, das nie bewilligt wird. Wenn ich es nicht mache, wer dann?«
    Cohen sah ihn einfach nur schweigend an. »Ich weiß, worum du mich bittest«, sagte er schließlich. »Und ich weiß, was ich dir schulde.«
    Gavi fuhr abrupt mit der Hand durch die Luft. »Du schuldest mit gar nichts. Wenn ich nicht befürchtet hätte, dass du genau das sagen wirst, hätte ich schon viel früher um deine Hilfe gebeten. Mein Gott, vielleicht hätte ich sogar deine Spinmail

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