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Lichtjagd

Lichtjagd

Titel: Lichtjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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Das ist verrückt. Er hätte nicht den Mut, hier sein Gesicht zu zeigen. Irgendeines seiner Gesichter. Ist wirklich alles in Ordnung? Du siehst übel aus.«
    »Mir geht’s gut.«
    Aber das stimmte nicht. Sie kannten ihn. Sie kannten seinen Seriennamen, auch wenn sie ihn, wie es Menschen oft taten, für einen anderen Arkady gehalten hatten. Und sie hatten geglaubt, er sei gestorben.
    Wie gestorben? Wo gestorben? Was war mit diesem anderen Arkady geschehen, bevor er gestorben war?
    Und was hatte Andrej Korchow damit zu tun?
     
     
     
    C ohen schaute aus dem Fenster des Busses von Ben Gurion nach Jerusalem und sagte sich, dass er einen neuen Körper brauchte.
    In seinem jetzigen bekam er keine Ruhe, wo er auch war. Dieses Hoffmann-Mädchen hatte ihn fast erkannt. Selbst dieser nette Junge vom El-Al-Sicherheitsdienst hatte ihn zu offensichtlich an den Anfang der Schlange gewunken, als dass man es durch Diskretion hätte erklären können. Es war eine andere Sache gewesen, als er noch mit seinem französischen Pass reisen konnte, aber das Fiasko in Tel Aviv hatte dem ein Ende gemacht. Den einzigen menschlichen Status und die einzige Staatsangehörigkeit, die er beanspruchen konnte,
verdankte er der Religion seines vor langer Zeit verstorbenen Erfinders.
    Dazu kam natürlich noch die ärgerliche Kleinigkeit, dass er ein Geist war.
    »Warum nennt man dich immer noch so?«, hatte Li gefragt, als es das erste Mal jemand in ihrem Beisein tat. »Das ist unheimlich. So als ob sie wirklich glauben, dass du er und nicht du selbst bist.«
    »Es ist bloß eine Formalität. Niemand nimmt es ernst außer den religiösen Spinnern.«
    Aber Li war weniger an religiösen Rücksichten als an der soldatischen Tugend der Loyalität interessiert gewesen. »Ist dir je der Gedanke gekommen, dass sie in den letzten vier Jahrhunderten längst darüber hinausgekommen wären, wenn sie wirklich deine Freunde wären?«
    »Nun, so ganz unrecht haben sie ja nicht. Genau genommen bin ich nur ein Jude, weil Hy Cohens Mutter eine Jüdin war. Und glaub mir, ein frommer Jude war er wirklich nicht …«
    »Ich erinnere dich an diesen selbstgerechten Ton, wenn ich dich das nächste Mal dabei erwische, dass du Austern isst.«
    »… aber irgendein orthodoxer Rabbi hat erklärt, dass digital rekonstruierte Persönlichkeiten Geister, keine Golems sind und daher nach der Halacha Anspruch auf alle Rechte und Privilegien ihrer Originale haben.«
    Ganz zu schweigen davon, wie absurd es war, in dem gewaltigen virtuellen Universum aus koevolutionären neuralen Netzwerken, Affektschleifen und Expertensystemen, das sich »Hyacinthe« nannte, auch nur im entferntesten dieselbe Person sehen zu wollen wie jenen Hy Cohen, der die Erinnerungen seines hinfälligen Körpers in die längst ausgemusterte Original-Hardware hochgeladen hatte.
    Ganz zu schweigen davon, dass selbst Hyacinthe nur eine der vierunddreißig empfindungsfähigen und quasiempfindungsfähigen
synthetischen Entitäten (nach aktueller Zählung) war, die sich gegenwärtig des zweifelhaften Privilegs einer israelischen Staatsbürgerschaft unter Cohens Toffoli-Nummer erfreuten.
    Und ganz zu schweigen von dem problematischen fünfunddreißigsten Rad am Wagen: einer sehr empfindungsfähigen und nur zum Teil synthetischen Catherine Li, früher Soldatin bei den Friedenstruppen.
    Im Moment schlief sie, versunken in das dichte, trügerische Netz der Träume, das Cohen auch nach einem Dutzend Leben unter Menschen immer noch schocken konnte. Sie schlief mit über der Brust verschränkten Armen und hatte die Sohlen ihrer Stiefel gegen den Vordersitz gestemmt. Beim Anblick ihrer geballten Fäuste und ihrer gerunzelten Stirn, des feinen Geflechts vom Keramstahlfäden unter ihrer Haut, dachte Cohen: Selbst im Schlaf verteidigt sie sich.
    In der Zwischenzeit ratterte der verstaubte, blau-weiße Egged-Bus auf die Hochebene, die die Überschwemmungszone des Jordan bildete, und Cohens assoziierte Ichs schauten aus dem Fenster oder arbeiteten an unzusammenhängenden Projekten, während die übrigen Lis episodische Träume belauschten oder sich darum drängten, seinen Kontakt vom Ring zur Erde auf dem massiven Übertragungsniveau zu halten, das für den Zusammenhalt von geborgtem Körper und weit verstreuten Seelen benötigt wurde.
    Er streckte sich und genoss, so wie immer, die elastische Eleganz von Rolands jungem und gut trainiertem Körper. Menschen betrachteten die Freuden der Jugend und Gesundheit als selbstverständlich

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