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Lichtjagd

Lichtjagd

Titel: Lichtjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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für die Standards menschlicher Datenschieber unvorstellbar – und ein Großteil der Hardware, die den Kontakt zwischen Erde und Umlaufbahn abwickelte, war nun einmal auf menschliche Toleranzen zugeschnitten.
    , schickte er über die schwachen, stark überwachten Erde/Orbit-Router an Lis Postfach im Ring, aber er hätte genauso gut in einen Brunnen schreien können. Wenn da unten irgendetwas schiefging, solange er offline war, konnte er nichts für sie tun.

    Und dann sah er es. Es durchleuchtete das statische Rauschen schwacher Kanäle wie ein herannahendes Leuchtfeuer: Zwei Klammern, in invertierten Farben dargestellt, deren runde Seiten einander so zugewandt waren, dass sie ein großes I bildeten, ebenfalls invertiert, das die unbewachten Zufahrtsstraßen auf die frei zugängliche Informationsautobahn einer Erde nach dem Embargo markierte.
    ][ OFFENER KNOTEN NUR DER HIMMEL IST DIE GRENZE
    Er war wieder online.
    Wie ein Taucher, der in blutwarmes Wasser sank, tauchte er wieder ein in die Sinnesdaten aus Rolands kortikalem Overlay-Modul. Der Bus, die Fahrgäste und die Stadt nahmen um ihn Gestalt an. Und was am wichtigsten war: Er spürte die beruhigende Gegenwart Lis, die mit den Randbereichen seines Kompositbewusstseins verschmolz:
    HALLO WELT
    Er ließ die Buchstaben in archaischem LED-Grün auf ihrem gemeinsamen Arbeitsplatz blinken.
    , fragte sie.
    
    
    »Na gut. Tut mir leid wegen des Aussetzers.«
    »Tut mir noch mehr leid. Ich dachte schon, ich müsste mir die nächsten zwei Stunden bei Smalltalk mit Roland die Zeit vertreiben.«
    »Ich dachte, du magst Roland.«
    »Wenn’s nicht zu lang dauert, ist er zu ertragen.« Sie warf ihm einen tückischen Seitenblick zu, schien etwas sagen zu wollen, überlegte es sich aber doch anders.

    »Es ist sowieso deine Schuld.« Cohen streckte sich kokett. » Ich hätte diese Reise ja gern als Mädchen unternommen. «
    »Wie sind im Land der Polykonfessionellen und der Ultraorthodoxen, Cohen. Einer von uns muss als Angehöriger des herrschenden Geschlechts durchgehen können. Und außerdem: Wenn ich’s zugelassen hätte, dass du auf dieser Reise bei einem Mädchen im Overlay bist, hätte ich jede Hoffnung aufgeben können, dass du bequeme Schuhe einpackst.«
    »Bequeme Schuhe verderben den Charakter«, grummelte Cohen. Er legte den Kopf in ihre Halsbeuge, schmeckte ihre vertraute Haut und den moschusartig riechenden Staub der Erde.
    Sie schüttelte ihn mit einem Schulterzucken ab.
    Es war kaum ein Schulterzucken. Kein Außenstehender hätte die Geste bemerkt, selbst wenn er darauf geachtet hätte. Aber für Cohen war sie unmissverständlich.
    »Ich würde etwas dafür geben, wenn ich wüsste, was du jetzt denkst«, sagte er nach einer Pause.
    Li presste ihre vollen Lippen zu einem straffen Strich zusammen. »Warum für etwas bezahlen, was du umsonst haben kannst?«
    Und hier war sie, die Wahrheit, die Li weder ändern noch ertragen konnte. Er und sie bildeten ein Hybridwesen, dessen Körper im Realraum nur die Spitze eines Eisbergs im Stromraum war. Sie liefen auf seinen Netzwerken. Sie navigierten durch seinen Aktionsraum. Sie waren von seiner Rechenleistung abhängig, die alles exponentiell übertraf, was ein nur organisches Gehirn ins Feld schicken konnte – selbst ein so stark verkabeltes wie das von Li.
    Cohen hatte die Macht zu gehen, wohin er wollte, alles zu sehen, alles zu tun, alles zu nehmen. Li hatte nur die Macht wegzulaufen. Nicht viel für eine Frau, die Bataillone kommandiert und Kampfabwürfe angeführt hatte. Nicht genug, vermutete Cohen allmählich.

    Cohens Routing-Meta-Agent störte ihn mit einem Hinweis, dass er den Routing-Bug aufgeklärt hatte und an einem Patch arbeitete. Es war natürlich völlig unnötig, dass ein Router/Decomposer ihm eine solche Information zur bewussten Kenntnisnahme brachte. Noch war es nötig, sie auf einem frei zugänglichen Spinstromkanal zu übermitteln. Aber in der Wardrive-Frage hatte der Router/Decomposer sich auf Lis Seite geschlagen, und er hatte einen Grund dafür.
    Der Router/Decomposer war ursprünglich einfach nur Decomposer genannt worden. Und ein Decomposer war genau das, was man von einem Gebilde mit diesem Namen erwarten konnte: ein voll empfindungsfähiges, massiv paralleles Zergliederungsprogramm, das von einer gewaltigen Josephson-Batterie gespeist

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