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Lichtjagd

Lichtjagd

Titel: Lichtjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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sagte Li nach einem kurzen Moment. Sie räusperte sich, murmelte etwas in der Art, dass es ihr leid täte, und verstummte abrupt.
    »Macht nichts.« Didi beugte sich vor uns tätschelte ihr Knie. »Die Geschichte hat hier einfach eine längere Halbwertzeit. Erzählen Sie mir doch mal etwas von Ihrem Heimatplaneten. «
    »Er sieht Israel sogar ziemlich ähnlich. Felsen und Himmel. Wüste und Berge.«
    »Aber ohne Menschen, ja?«
    »Weitgehend. Die Oberfläche ist für Menschen zum Großteil unbewohnbar. Und selbst dort, wo sie überleben können, würde ich nicht unbedingt dazu raten.«
    »Und seine Geschichte?«
    »Es gibt keine Geschichte. Die Kolonie ist nicht sehr viel älter als ich.«
    »Ein Planet ohne Geschichte«, sagte Didi. Er wandte sich dem Agenten an seiner Seite zu. »Der perfekte Urlaubsort
für eine Woche am Strand, oder was meinst du? Man sollte dort Ferienhäuser anbieten. Die Jerusalemer würden sich darum reißen.«
    »Gibt’s dort Polykonfessionelle?«, fragte der andere Wachmann.
    »Nicht so viele wie hier.«
    Die Israelis wechselten vielsagende Blicke.
    Cohen starrte Didi an und fragte sich, ob diese Wendung des Gesprächs ein reiner Zufall war. »Stimmt es, dass sie damit rechnen, bei dieser Wahl weitere acht Sitze in der Knesset zu gewinnen?«, fragte er, um dem Gespräch einen kleinen Anstoß zu geben, und fragte sich, welche Überraschungen sich bei der Plauderei nach dem Abendessen ergeben würden.
    Aber Didi breitete einfach mit seinem charakteristischen Achselzucken die Hände aus, die typische Reaktion eines Israelis auf alle Fragen des Lebens, die sich nicht beantworten ließen, von der Politik bis zum morgigen Wetter.
    »Ich liebe mein Land genug, um zu glauben, dass es seine Vorliebe für Gottesmänner und Gewalt überwinden wird«, sagte er einfach.
    »Ich habe viele Leute gehört, die das über ihre Länder sagten«, erwiderte Cohen.
    »Und hat jemand von ihnen recht behalten?«
    »Nicht dass ich mich erinnern kann.«
    Didi wollte etwas entgegnen, aber in diesem Moment bog der Wagen in eine Straße durch ein Wohnviertel ein. Sie fuhren an einer langen Familienkarawane vorbei, die die letzte Wärme des ausgehenden Nachmittags für einen Spaziergang nutzten; eine gackernde, lärmende, herumscharwenzelnde Parade aus Onkeln, Tanten und Enkelkindern; ein ängstlich wirkendes Elternpaar – das gute Gründe für eine gewisse Beklommenheit hatte, wenn man die jüngste Welle von Selbstjustiz gegen »schlechte« Eltern bedachte. Und am Ende schließlich der zerbrechliche Vogel, so selten in dem verdorbenen
Land von Milch und Honig, dass alle ihm die Köpfe zuwandten und sofort verstummten: ein Kind.
    Als sie vorbeifuhren, geriet das Kind leicht ins Stolpern und verschwand in einem Dickicht beschützender Erwachsenenarme. Cohen erinnerte sich an Hyacinthes zwanglose Kindheit, voller gebrochener Knochen und privater Triumphe, und fragte sich, was es für diese Generation von Kindern bedeutete, dass sie aufwuchsen, ohne je herumzutollen, hinzufallen und sich in Gefahr zu begeben.
    Er betrachtete seine Mitfahrer. Li verhielt sich gleichgültig. Didi hatte dem Kind einen Blick zugeworfen, als es auftauchte, starrte jetzt aber teilnahmslos durch die Windschutzscheibe auf die Straße vor ihnen. Aber es war der Ausdruck in den Gesichtern Ariks und der anderen jungen Männer, der sich Cohens Erinnerung an diesen Moment einprägen würde. Konzentriert. Völlig ruhig. Tödlich hungrig.
    So also sieht eine aussterbende Spezies aus.
     
     
     
    D idi bewohnte ein ganz gewöhnliches Haus, nicht weniger bescheiden und auf den ersten Blick nicht besser gesichert als jedes andere Haus in diesem Nobelvorort von Tel Aviv. Das Einzige, was es von den Nachbarhäusern unterschied, waren die fünf hoch aufragenden Stämme der libanesischen Zedern, die laut dem Getuschel der jungen Rekruten hier angepflanzt worden waren, als das Haus noch dem legendären Rafi Eitan gehört hatte.
    Der Wagen fuhr in eine Garage, die mit dem üblichen Durcheinander aus Fahrradteilen und Sportgeräten vollgestopft war. Von dort schritten sie feierlich zum Hauseingang, wo sie mit aller gebotenen Förmlichkeit Didis Frau und seinen Zwillingstöchtern vorgestellt wurden. Li betrachtete
die beiden Töchter interessiert – aus gutem Grund, dachte Cohen. Ihre gertenschlanken, hochgewachsenen Körper und ihre kühle, ebenmäßige Schönheit sprach mehr für eine Herkunft aus dem Ring als von der Erde. In oberflächlicher Hinsicht hatten

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