Lichtjagd
Organisation auf dieser Ebene infiltriert wurde, kann sie nicht ohne Blutvergießen gerettet werden.«
Cohen sah, dass Li daran einen Moment zu schlucken hatte. Er sah, wie sie die Punkte – Gavi, Cohen, Didi – durch Linien verband und das verwickelte Netz widersprüchlicher Loyalitäten auszufüllen begann, das von der Seite der UN wie ein simpler Verrat ausgesehen hatte.
Als ob Verrat je etwas so Einfaches war.
In Tel Aviv hatte alles mit einem Überläufer angefangen.
Ein einfacher palästinensischer Datentypist hatte die israelische Botschaft in der Internationalen Zone betreten und behauptet, dass er die Kontaktdateien eines sehr hochrangigen Agenten in der israelischen Spionageabwehr gesehen hatte, der den Decknamen Absalom trug und direkt aus Walid Safiks Büro instruiert wurde. »Wir haben den Datentypisten auf unsere Seite zu ziehen versucht und wollten ihn als Doppelagent über die Grenze schicken«, erklärte Didi, »aber er war uns voraus. Er hatte veranlasst, dass zu einem
festgelegten Zeitpunkt eine Notiz an sein Büro übergeben wurde, in dem er sich als Überläufer bekannte, und machte uns ein Alles-oder-Nichts-Angebot mit fünf Tagen Bedenkzeit. «
Li nickte. »Ein Profi.«
»Ja. Und ein Profi, der uns keine Gelegenheit geben wollte, ihn wieder in die Kälte zu schicken. Jedenfalls hat er uns ein Geschäft vorgeschlagen: seine kopierten Dokumente gegen eine Million UN-Dollar auf einem Schweizer Nummernkonto. Wir sollten ihn bei einem diplomatischen Ereignis in der Internationalen Zone treffen, wo er uns einen unmarkierten Schlüssel geben und von uns die Kontodaten erhalten würde. Danach wollte er mit dem nächsten Swissair-Shuttle nach Genf fliegen, den Kontostand überprüfen und uns am Morgen anrufen und mitteilen, in welches Schloss der Schlüssel passte.«
Die Operation war Gavi überantwortet worden. Er wäre die logische Wahl gewesen, erklärte Didi in etwas defensivem Ton. Wäre ein anderer damit betreut worden, hätte man genauso gut eine ganzseitige Anzeige in die Ha’aretz setzen und Safik darauf aufmerksam machen können, dass man seinen Maulwurf hochgehen lassen würde. Der Austausch war bei Champagner und Appetithäppchen in der UN-Zentrale vorgenommen worden, mit voller Unterstützung der örtlichen UNSR-Zweigstelle. Der Datentypist hatte seine Kontoinformationen erhalten, war auf eine Zigarette durch die Eingangstür an den Wachen vorbeigegangen und verschwunden. Der verantwortliche Katsa hatte den unmarkierten Schlüssel an sich genommen und sich mit seinen beiden Agenten in ein Taxi gesetzt, um zum König-Saul-Boulevard zu fahren.
Dort waren sie nie angekommen.
Sie wurden drei Tage später gefunden, jeder von ihnen stolzer Besitzer von zwei 22er-Projektilen, die man ihnen aus nächster Entfernung in den Schädel geschossen hatte.
»Und der Schlüssel?«, fragte Cohen.
»Weg. Verschwunden. Als habe er nie existiert.«
Es hatte Monate gedauert, um das Puzzle zusammenzusetzen. Der letzte Stein war eingefügt worden, als herauskam, dass am nächsten Morgen ein junger Mann das Postamt von Beir Zeit betreten, die Postbeamten in akzentfreiem Hebräisch angesprochen, einen unmarkierten Schlüssel vorgelegt und den Inhalt von Fach 530 an sich genommen hatte.
»Von der Durchführung her war es perfekt«, bemerkte Didi, als ob er einen seiner eigenen Jungs kritisierte. »Der Fehler, wenn es einen gab, wurde von dem Mann begangen, der ihn geschickt hat. Wie sich herausstellte«, ein kurzes Grinsen, »war er einfach zu charmant. Als ich die Postbeamtin verhörte, hoffte sie immer noch, dass er wieder auftauchen würde. Alles, woran sie sich erinnerte, waren seine schönen grünen Augen.«
»Scheiße«, flüsterte Li.
»Da kommt man ins Grübeln.«
Cohen ließ den Kopf in die Hände sinken und massierte Rolands Schläfen. Er hatte Kopfschmerzen, was rein technisch gesehen gar nicht möglich sein sollte. Und er hatte ein seltsam flattriges Gefühl hinter den Augen, das er in einem anorganischen System auf eine zu hohe Taktrate zurückgeführt hätte. Er hoffte, dass es nicht etwas war, das er selbst dem Jungen zufügte.
»Und was ist aus dem Überläufer geworden?«, fragte er, als klar war, dass Didi freiwillig nicht mehr erzählen würde.
»In welcher Hinsicht?«
Mein Gott, musste er ihm jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen? »Ich meine, was mit ihm passiert ist. Nach deinem besten Wissen.«
»Nach meinem besten Wissen haben die Behörden ihn zwei Tage später
Weitere Kostenlose Bücher