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Lichtjahre entfernt: Roman (German Edition)

Lichtjahre entfernt: Roman (German Edition)

Titel: Lichtjahre entfernt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Merkel
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dass das große Buffet, von dem man so viel essen kann, wie man will, schon geschlossen hat. »Sollen wir Boot fahren?«, frage ich, in der Hoffnung, sie hätte keine Lust. »Wir könnten die Drinks mit ins Boot nehmen und uns einen Überblick verschaffen.« Ich brenne darauf, etwas Unvernünftiges und Waghalsiges zu tun, ahne aber, dass ich dafür selbst kaum noch die Kraft habe. Judith hat die Fähigkeit, sehr gelassen und ruhig zu sein, eine Gelassenheit, die gleichermaßen eine Lethargie, eine latente Dumpfheit mit sich bringt. Ich sehe ihre Tante einmal am frühen Morgen vor dem großen Fernseher sitzen, eine Schale Obstsalat in der Hand und die Fernbedienung neben sich, während auf dem Bildschirm Terry Gilliams Brazil läuft. Morgens, kurz bevor sie zur Arbeit muss. Ihr Gesichtsausdruck ist der eines Kindes, das seiner Lieblingsbeschäftigung nachgeht. Die alten Frauen vor den Spielautomaten haben denselben Blick. Vielleicht ist es eine Halluzination. »Erst betrinken wir uns«, sage ich mir, während ich den Rasierschaum über das Gesicht verteile, »und dann gehen wir wieder nach oben in unser Zimmer. Und wir müssen unbedingt ein bisschen Geld verspielen.« Judiths Tante schaut Brazil und isst Obststücke. Am frühen Morgen, bevor die Arbeit in der Erziehungsberatungsstelle beginnt, in der sie ehrenamtlich tätig ist. Sie sagt immer, ich soll sie Betty nennen, obwohl sie aus Hannover stammt und eigentlich Elisabeth heißt. Ihr neuer Freund arbeitet als Kameramann für Fernsehproduktionen, ist aber noch gelassener und gemütlicher als sie. Man kann sich unmöglich vorstellen, dass er arbeitet. Die meiste Zeit fahren sie Auto. Der einzige Ort, an dem sie sich bewegen, ist ihr Haus, aber auch dort bewegen sie sich so langsam, dass sie immerfort genüsslich aufstöhnen, wenn sie eine Sitzgelegenheit finden und wieder ausruhen können. Wahrscheinlich ist Aaron bei seinem Job ganz anders. Womöglich explodiert er dann, und seine Kamera, von der ich mir kaum vorstellen kann, er könne sie länger als zehn Sekunden hochhalten, reißt ihn mit sich, und er fliegt den Darstellern und Schauspielern hinterher. Judith sagt, sie habe Angst, dass ihre Tante immer dicker würde und sich irgendwann gar nicht mehr bewegen könne. Schon jetzt sind Aaron und Betty korpulent, und ihre Bewegungen sehen aus, als studierten sie eine Haltung ein, die endgültig ist und die sie dann nicht mehr verändern müssen. Ich sehe ihre Müdigkeit und Lethargie als eine Bedrohung, der wir draußen in der Wüste mit ihren natürlichen Gefahren, ihrer Hitze, ihrer steinernen Unwirklichkeit so leicht entkommen sind. Ich frage die Bedienung des Restaurants, ob wir einen Drink bei ihr bestellen können, aber sie sagt, dass sie im Restaurantbereich keinen Alkohol ausschenken darf. Wir sind die letzten Gäste, vielleicht möchte sie uns loswerden. Auf einmal sagt Judith: »Lass uns hochgehen.« Sie sagt es mit einem Ausdruck matter und kraftloser Nachgiebigkeit, sodass ich mich sofort kerzengerade aufrichte, mit dem Unterarm den Teller etwas vorschiebe und sage: »Aber jetzt geht es doch erst richtig los.«

    Wie kann man morgens einen Film von Terry Gilliam sehen, morgens um Viertel nach acht? Die Spielautomaten klingeln. Es ist das drängende Klingeln von Besuchern, die man nicht lange warten lassen darf. Wollten wir nicht eigentlich unser ganzes Geld verspielen? Wollten wir uns nicht betrinken? Später, nachdem Judith ein paar Dollar an ihrem Lieblingsspielautomaten Wheel of Fortune verspielt hat und wir uns ein bisschen erholt haben, fällt mir das ein. »Hättest du Lust weiterzuspielen?«, frage ich. Ihre Augen strahlen, ich sehe, wie sie für eine Sekunde berauscht und unkontrolliert ist. »Wir könnten an einen der Tische gehen.« Judith schaut sich um. Ich zögere. Wir haben jeder zwei Gin Tonic getrunken, viel zu wenig, um den Kopf zu verlieren. Plötzlich rächt es sich, dass ich vorher so viel gegessen habe. »Wir könnten an einen der Tische gehen«, sage ich. Das ist der Augenblick, in dem mir klar wird, dass ich mich täusche, wenn ich denke, es wäre alles in Baltimore passiert und nicht in Primm. In Baltimore ist gar nichts passiert. Es ist dieser Augenblick in der Lobby, in der großen Spielhalle, ein Moment sexueller Aufgeladenheit, wie wir ihn seit Jahren nicht mehr erlebt haben. Judith lässt ihren Blick über die Automaten schweifen. Die Lichtorgeln, die großen autistischen Geldschleusen und Geburtsmaschinen. Ihr Blick streift

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