Lichtjahre entfernt: Roman (German Edition)
geknüpfter großer, seidener Teppich. Judith steht unterhalb der Wasseroberfläche am rechten Fenster der noch nicht fertiggestellten Bar mit dem Rücken zum Betonmischer. Ich springe. Im Grunde springe ich von der Anhöhe direkt in den Pool. Und ich verschiebe meine Liebeserklärung, ich verschiebe sie auf später. So wie ich es dann auch in Baltimore mache. Ich suche nach der richtigen Gelegenheit, nach dem richtigen Augenblick. »Hat es geklappt«, rufe ich ihr zu, »hast du es im Kasten?« Judith kann mich nicht hören, sie ist noch in der Bar. Das Wasser wird durcheinandergewirbelt, das feine, schimmernde, leicht schaukelnde Netz aus ineinandergewebten Lichtblasen zerreißt. Ich bin auf der falschen Seite gesprungen. »Es ist wunderschön hier«, sagt Judith. Wir frühstücken. Ich strecke meine Beine in der Sonne aus. Es ist der zärtlichste Moment des Tages, als Judith meinen Ellbogen mit einer Jodtinktur aus ihrer Reiseapotheke behandelt. Wir gehen nicht zurück zum Indian Head. Mir erscheint die Zeit zu kostbar. Ich verschiebe meine Liebeserklärung, in dem sicheren Gefühl, wir würden später Landschaften und Naturschauspiele sehen, die alles bisherige übertreffen und die den Gedanken an eine große, unerschöpfliche Liebe in sich tragen und eine solche Liebe dann von ganz allein hervortreten lassen. Ich springe vielleicht noch ein drittes Mal, bevor wir auf unser Zimmer gehen. »Ich springe jetzt auf der linken Seite.« »Du meinst das linke Fenster.« »Ja, von dir aus gesehen.« »Also auf der Seite?« Das Wasser ist ganz aufgewühlt und sprudelt um meinen Kopf herum. Woher nimmt sie diese Geduld? Die Geduld, zwei Stunden durch das ausgedehnte Gebiet von Borrego Springs zu fahren, um tatsächlich alle Hotels mit mir anzuschauen, und dabei nicht die Lust zu verlieren. Ich laufe. Judith liest Herr der Ringe . Sind wir glücklich? Kann es noch schöner werden? »Nein, links«, sage ich. »Von mir aus gesehen.« Judith geht wieder hinunter in die Bar, die wie der verlassene Drehort eines James-Bond-Films aussieht, während ich ins Wasser springe, einen feinen roten Blutfaden hinter mir herziehend. »Spring nochmal«, ruft Judith, die schließlich auch von dem Ehrgeiz ergriffen worden ist, ein gutes Foto zu machen. Es ist eine Einwegkamera mit 24 Bildern. Ich bekomme keins von ihnen je zu sehen, weil wir die Kamera später beim Spaziergang in den Kelso Dünen verlieren. Ich springe zweimal, dreimal, mehrmals. Am Ende kann ich es nicht mehr zählen. Alles verschwimmt. Ich laufe den engen steinigen Pfad hinunter, weiche Felsbrocken und dornigen Gebüschen aus. In einer Vision sehe ich auf einmal meine sich von mir entfernenden Klienten, die überstürzt zu entkommen versuchen. »He«, rufe ich. »Ihr verfluchten … « Aber sie sind schon zu weit entfernt.
Wir sind schon am Wagen, als mir einfällt, dass wir vergessen haben, uns vom Hotel zu verabschieden. »Wir haben vergessen, dem Zimmer auf Wiedersehen zu sagen«, sage ich zu Judith, während ich aussteige. Judith dreht sich um. Plötzlich hat sich das ganze Haus mit Leben gefüllt, und Dan, der Hotelbesitzer, ist aufgetaucht und erzählt uns, wie er das Palms vor Jahren zusammen mit seiner Frau Jackie entdeckt hat. Eine verlassene Ruine, die kurz davor stand, abgerissen zu werden. Ich frage Dan, ob wir nicht noch bleiben können. Wir würden auch einen höheren Preis zahlen. Dan ist ganz zerknirscht und erklärt mir, dass sich eine Filmcrew angekündigt hat und Aufnahmen für eine Bademoden-Kollektion machen will. »Kein Problem«, sage ich zu Dan. Die Hotels sind miteinander verbunden, sie gehen ineinander über. Wir übernachten in keinem von ihnen zweimal, wir verbringen nirgendwo mehr als einen Tag. In dem arkadischen Traum endloser Hotelaufenthalte reihen sich die Häuser und Orte aneinander wie Mahnmale, kostbare archäologische Funde, in denen die Nächte im Gestein dieser Orte eingeschlossen sind. Haus für Haus, Hotel für Hotel. Den gesamten nächsten Tag spüre ich noch die Aura und Atmosphäre des Palms. Das Herumirren, das Nicht-Sesshafte. Die Liebe zwischen Judith und mir ist eine nomadische Liebe, denke ich und schreibe in mein Notizbuch: Ist unsere Liebe eine nomadische Bewegung? Direkt daneben schreibe ich: Nomadische Liebe? Für einen Moment, auf dem überfüllten Bahnsteig, als ich auf den A-Train warte, halte ich es auf einmal für möglich, dass meine Erinnerung mich betrügt. Sie suggeriert mir etwas, sie will mich von irgendetwas
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