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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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kurzen, unbeholfenen Zungenbewegungen, die Milch leuchtete in seinem Maul auf. Er hatte ein rotbraunes Fell, wie ein Fuchs, mit weißem Bauch. Seine Bewegungen waren unsagbar tapsig.
    »Das schmeckt dir, was?« sagte sie. Sie berührte sein weiches Fell, während er unter ihrer Hand trank. »Hadji«, sagte sie. »Du wirst einmal ein großer, starker Mann werden. Du wirst bellen und bellen.«
    Viri kam vom Schlittschuhlaufen herein und rieb sich die Hände. Im Flur hinter ihm zogen sich die Kinder die Mäntel aus.
    »Ich hab ihm einen Namen gegeben.«
    »Sehr gut. Welchen?«
    »Hadji«, sagte sie.
    »Hadji.«
    »Paßt er nicht zu ihm?«
    »Doch. Was bedeutet er?«
    »Was bedeutet schon irgendwas?«
    Hadji leckte die leere Schale aus. Sie klapperte auf dem Boden.
    »Wir haben das kleine Mädchen mit dem einen Bein gesehen.«
    »Monica.«
    »Ja.«
    »Wirklich traurig, das.«
    »Ich kann sie gar nicht ansehen. Es macht mich so mutlos.«
    »Es war doch eisig kalt.«
    Am frühen Nachmittag aßen sie Birnen mit heißer Schokolade. Das Licht hatte sich verändert. Die Sonne war hinter ein paar Wolken verschwunden; der Tag hatte keine Quelle mehr. Viri spielte mit ihnen ein arabisches Spiel mit Bohnen. Am Ende ließ er sie gewinnen.
    »Gibt es noch Schokoladensauce?« fragte er.
    »Ich mach noch welche«, sagte Nedra. Auf dem Fluß schienen die Möwen auf dem Wasser zu stehen. Das Eis war nicht zu sehen. Ihr Spiegelbild war dunkel; man konnte die schwarzen Striche ihrer Beine erkennen. Im Zimmer ein Baldachin aus Musik, ein Tablett mit drei Tassen, weiße Zuckerwürfel in einem Schälchen, viele Bücher.
    Ihr Leben ist geheimnisvoll, es ist wie ein Wald; von weitem sieht es wie eine Einheit aus, man kann es begreifen, beschreiben, aber wenn man näher kommt, beginnt es sich zu trennen, sich in Licht und Schatten aufzulösen, die Dichte blendet einen. Hier drinnen gibt es keine klaren Formen, nur unendliche Facetten, die sich überallhin ausbreiten: fremdartige Geräusche, einfallendes Sonnenlicht, Laub, umgestürzte Bäume, kleine Tiere, die beim bloßen Geräusch eines knackenden Zweiges flüchten, Insekten, Stille, Blumen. Und all dieses, das voneinander abhängt, das eng verwoben ist, all dies ist trügerisch. Im Grunde gibt es, wie Viri sagt, zwei Arten von Leben. Es gibt das, von dem die Leute glauben, daß man es lebt, und es gibt das andere. Es ist dieses andere, das Probleme macht, dasjenige, das wir gerne zu Gesicht bekommen würden.
    »Komm her, Hadji«, sagt er.
    Der Hund, in dem bereits alles Wissen, aller Mut, alle Liebe steckt, sieht wachsam, aber unverständig auf.
    »Komm her«, sagt Viri. Er greift nach ihm. Der Hund duckt sich nicht; er fügt sich und läßt sich aufnehmen.
    »Du bist also ein Hirtenhund, hm? Wo ist denn dein Schwanz geblieben? Was ist damit passiert? Du weißt nicht mal, was ein Schwanz ist, wie? Du denkst, ein Schwanz ist etwas, das an einem Ende einer Kuh runterhängt. Jetzt hör mir mal gut zu, Hadji. Das erste, worüber wir uns unterhalten müssen, ist die Sauberkeit. Unsere Toilette ist im Haus, deine ist draußen. Die Bäume... «
    »Er weiß doch gar nicht, was er mit einem Baum anfangen soll, Viri.«
    »Du weißt nicht, was du mit einem Baum anfangen sollst? Dann eben der Rasen, als Anfang. Danach kleine Steine, die Hausecken, Stufen, und dann - dann ein Baum. Du wirst einmal ein richtig großer Hund werden, Hadji. Du wirst bei uns wohnen. Wir werden mit dir zum Fluß gehen. Wir werden dich zum Meer mitnehmen. Au, deine Zähne sind aber scharf! «
    Er schlief in einem Obstkorb, auf dem Rücken wie ein Bär. Eines Morgens war große Aufregung im Haus. Franca sah es als erste. »Er hat sein Ohr aufgestellt! Sein Ohr ist hoch!« rief sie.
    Sie kamen alle angelaufen, um es sich anzusehen, während er dasaß, ohne etwas von seinem Triumph zu ahnen. Aber am Nachmittag hing es wieder herunter. Er wurde intelligent, stark, er kannte ihre Stimmen. Er war nicht aus der Ruhe zu bringen, er war klug. In seinem dunklen Auge konnte man eine Schar von Tieren sehen - Pferde, Mäuse, Rinder, Wild. Sie nannten ihn Frosch. Er lag mit nach hinten ausgestreckten Beinen auf dem Boden. Er beobachtete sie, den Kopf auf die Pfoten gelegt.

5
    Das Leben besteht aus Wetter. Das Leben besteht aus Mahlzeiten. Picknicks auf einem blaukarierten Tuch, auf dem Salz verschüttet worden ist. Dem Geruch von Tabak. Brie, gelben Äpfeln, Messern mit Holzgriffen. Es besteht aus Fahrten in die Stadt, täglichen Fahrten.

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