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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Sie ist wie eine Bauersfrau, die auf den Markt geht. Sie fuhr für alles in die Stadt, die Straßen begeisterten sie, winterliche Straßen, aus denen hier und da Dampf aufstieg. Sie fuhr den Broadway entlang. Die Bürgersteige hatten weiße Flecken. Sie kaufte nur in bestimmten Läden Essen ein; sie war ihnen treu, anspruchsvoll. Sie parkte ihr Auto, wo es ihr gerade paßte, an Bushaltestellen, im Parkverbot; die Dringlichkeit ihrer Besorgungen schützte sie. Das Auto war ein kleines Cabriolet, aus dem Ausland, grün und im Gegensatz zu anderen Dingen vernachlässigt.
    Es war Januar. Sie fuhr früh in die Stadt, es war ein kalter Tag, die Straßen waren vereist, die Tauben drängten sich in den Rs einer FURNITURE-Leuchtreklame. Die Stadt ist eine Kathedrale der Besitztümer; ihr Weihrauch sind Träume. Sogar die von ihr Ausgestoßenen können nicht fort. Eine alte Frau saß vor einem Türeingang, die Jahre hatten ihr Gesicht gezeichnet, ihr Haar hing wirr herab, ein häßliches Weib ohne Zähne. Sie hatte ein Tier auf dem Schoß, seine Augen tränten, seine Schnauze war grau. Sie senkte den Kopf, die Wange an die des kleinen Hundes gelegt, saß sie still und verlassen da. Einen Häuserblock weiter war es ein heruntergekommener Mann, der sich auf den Knien fortbewegte, sein Gesicht war so dreckig, so rot, daß es von Wunden übersät zu sein schien. Seine Kleider waren zerlumpt und mit Erbrochenem befleckt. Er mühte sich ab, sah an sich herab in seine Hose, als suchte er nach Blut, ohne auf die Passanten zu achten. In den Theaterfoyers standen Zwerge, dicke Männer, Finanziers mit mürrischen Gesichtern, Frauen mit schwarzen Strümpfen, in Pelzen. Sie hatten Ringe an ihren alternden Fingern, Goldfüllungen im Mund.
    Sie ging ins Museum, ins Büro ihres Mannes, in ein Geschäft auf der Lexington Avenue, wo sie bei den Kunstbüchern stand, groß, nachdenklich, eine Frau mit langen Beinen, einem anmutigen Hals, einer bloßen Andeutung der Falten des folgenden Jahrzehnts auf der Stirn. In einem unscheinbaren Restaurant aß sie ein Sandwich. Sie zog ihren Mantel aus. Darunter trug sie einen irischen Pullover, unauffällig, weiß, darüber Halsketten aus Bernstein und gefärbten Kernen. Alleinsitzende Männer sahen sie an. Sie aß in aller Ruhe. Ihr Mund war breit und intelligent. Sie hinterließ ein Trinkgeld. Sie verschwand.
    Am frühen Winterabend fährt sie am Columbia Circle vorbei. Der Verkehr ist zäh, aber es geht voran. Die Lebensmittelgeschäfte sind überfüllt, das Aufblitzen des Hochbahnzuges über ihr wirft blaue Schatten, ein Licht wie bei Hinrichtungen im Morgengrauen. Heimwärts auf den langen, sich windenden Straßen, gezogen von anderen Autos. Als sie den Fluß überquert hatte, waren die Bäume bereits schwarz. Sie flog dahin, fuhr nur auf der Überholspur, schneller als erlaubt, müde, glücklich, voller Pläne. Ihre Augen brannten. Auf dem Sitz hinter ihr lagen die weiß-orangenen Tüten von Zabar's, auf dem Boden lagen Benzinquittungen, Strafzettel, nie geöffnete Post, Rechnungen. Die Straße führt an den mächtigen Klippen der West Bank entlang; den größten Teil der Strecke sieht man weder ein Haus noch ein Geschäft, nichts außer der langgestreckten Galaxie von Ortschaften auf der anderen Seite des Flusses, die im Dunkeln zu leuchten beginnen. Sie verläßt den Highway und gelangt ins Hinterland, die Tümpel des kleinen Lebens, Häuser, die ihr vollkommen vertraut sind, ohne daß sie die leiseste Ahnung hätte, wer in ihnen lebt, geparkte Autos, die sie wiedererkennt, an der Ecke ein Postamt, ein Laden, der die Stadtzeitungen verkauft, der Holzzaun von Nachbarn, die Lichter von daheim.
    »Was machen die Kinder, Alma?« fragt sie. Der Hund springt um sie herum. »Hallo, Hadji. Sei ruhig.«
    Sie malen oben Bilder, sagt die Frau aus Jamaika. Sie hat ihnen vorgelesen; sie war mit ihnen spazieren.
    »Einen prächtigen Hund haben Sie da«, sagt sie. »Einen guten Hund.«
    »Ja, nicht wahr?«
    »Und wie er bellen kann.«
    Ihre Töchter kommen die Treppe herunter. Mama, rufen sie. »Ich hab euch was mitgebracht«, sagt sie und kniet sich im Mantel hin.
    »Was?« sagen sie. »Dein Gesicht ist aber kalt.«
    »Eure sind warm. Was habt ihr denn gemacht?«
    »Wir basteln«, sagt die Jüngere. »Was hast du uns mitgebracht?«
    Sie nennt ein französisches Gebäck, das sie lieben, LU's.
    »Mhhm. Lecker!«
    »Was bastelt ihr denn?«
    »Wir bauen einen ägyptischen Tempel«, sagt Franca. »Komm und schau ihn

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