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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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denen leuchtender Staub trieb. Sie antwortete nicht, wie sie es hätte tun können: »Nein, die Wahrheit ist, daß du eine Frau bist, die nie zufrieden sein wird. Du wirst danach suchen, aber du wirst es nie finden.«
    Sie war Dingen nahe, die zu mächtig waren. Sie spürte ihren Einfluß auf dieses willige Mädchen, wußte, daß sie leicht zu weit gehen könnte. Plötzlich verstand sie, wie ein Nadelstich in eine Puppe jemanden töten konnte. Sie erzählte später Eve davon, als handelte es sich um einen Unfall, der gerade noch abgewendet worden war.
    »Und, was hast du gemacht?«
    »Ich hab sie zum Lunch ins L'Étoile eingeladen.«
    »Ins L'Étoile?«
    »Ich hab mich schuldig gefühlt«, sagte Nedra. »Natürlich hab ich mich schon weniger schuldig gefühlt, als die Rechnung kam. Es hat dreißig Dollar gekostet.«
    »Was habt ihr denn gegessen?«
    »Ich weiß nicht, warum ich immer so ein Geld ausgebe. Ich hab schon immer dagegen angekämpft.«
    »Ab und zu.«
    Nedra lächelte. Ihre Zähne waren immer noch weiß, die Zähne einer gepflegten Frau. »Nein, ich hab's wirklich versucht. Aus irgendeinem Grund fällt es mir sehr schwer. Ich weiß, ich werde in Armut sterben...«
    »Niemals.«
    »... ohne einen Penny. Alles werd ich verkauft haben -Schmuck, Kleider. Sie werden kommen, um die letzten Möbel abzuholen.«
    »Das kann ich mir nicht mal vorstellen.«
    »Ich schon«, sagte Nedra.

4
    Viri war in Rom, er war langsam dorthin getrieben, so wie ein Fetzen Papier die Straße heruntergeweht wird. Er wohnte im Inghilterra. Seine Kleider wurden gebügelt, die Zimmermädchen brachten seine Wäsche, obenauf seine sauber gefalteten Hemden. Die Mädchen hießen Angela, Luciana, Namen von sagenhaften Heldinnen. Das Zimmer war klein, das Bad groß, auf der Schwelle ein Streifen aus stark verfärbtem Messing. Es gab darin eine schmale Wanne, einen weißen Kachelboden, einen roten Punkt für heißes Wasser, einen blauen für kaltes. Im Flur rief Angela nach Luciana. Türen wurden zugeschlagen. Ein Portier seufzte. Er hatte seine Sachen ausgepackt. Seine Schuhe standen nebeneinander unter dem Bett, auf dem Tisch mit der gläsernen Platte, der als Schreibtisch diente, standen Fotos, das Glas verstärkte das Ticken seiner Armbanduhr, die darauf lag. Er war in diesem Land der Kellner und trägen Serviererinnen ein Exilant. Er hatte keine wirkliche Arbeit. Er tat so, als wäre er Tourist, als sähe er sich endlich all die Dinge an, die er immer vernachlässigt hatte. Er las eine Biographie über Montaigne. Ein-oder zweimal sprach er davon, ein Buch zu schreiben.
    Morgengrauen. Der Verkehr hatte begonnen. Der Tag war bereits erfüllt von einem flachen italienischen Licht, als würden die Türen eines Theaters am Morgen geöffnet. Er war allein. Mit der Bedächtigkeit eines Bauern brach er die gefurchten Frühstücksbrötchen, blaß und an der Unterseite mit Mehl bestäubt. Schweigend verstrich er die weichen Butterröllchen und trank den Tee. Die ferne Stadt fauchte mit Autolärm und dem schwachen anhaltenden Klopfen von Arbeiterhämmern auf Stein herüber. In den schmalen, heruntergekommenen Gassen, durch die er gerne ging, blieb er vor den Fenstern von Antiquitätengeschäften stehen, in denen sich die Passanten spiegelten. Innen in der Kühle saßen die Händler zwischen mächtigen Stühlen und unterhielten sich, während der Morgen vorüberging. Sie gestikulierten ab und zu, ohne seinen interessierten Blick zu bemerken.
    Er war siebenundvierzig. Sein Haar war dünn, als er im römischen Sonnenlicht spazierenging. Er fühlte sich in den Städten von Europa verloren, Tauben kauerten in jeder Nische, schliefen auf den Knien von Heiligen. Er war ein Mann, der darauf wartete, daß die Tribune an den Zeitungsständen erschien, der allein aß. Wenn er sein Gesicht in Fenstern sah, vom Licht angestrahlt, erschrak er. Es war das Gesicht von alten Politikern, von Pensionären, die Furchen darin wirkten schwarz wie Tinte. Verachte mich nicht, weil ich alt bin, bat er.
    Er aß in einem Restaurant zu Mittag, nah am Fenster. Ein kalter Mittag, ein kaltes Licht. Die Bäume draußen hatten bereits ihre Blätter verloren. Es war in der Villa Borghese; die Luft des großen Parks war feucht und still, die Geräusche drangen von fern herüber wie Eisfälle. Vor ihm lag ein Stück Papier, auf dem er in den langen Pausen zwischen den Gängen schrieb, eine Liste jener Dinge, die ihn wenigstens für kurze Zeit retten konnten, das heißt Freuden, die

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