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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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sehr wenig, sie rauchte ein paar Zigaretten, sie redete. Ihr Vater war Kornhändler. Er war konservativ, klein, bitter enttäuscht von ihrem Bruder. Seine Tochter hatte er vielleicht zu sehr geliebt; es war manchmal ein wenig erdrückend gewesen, zu sinnlich. Er küßte sie immer auf den Mund, tiefe, eindeutige Küsse. Wenn ihre Mutter stürbe, würde er Lia heiraten, sagte er immer. Er machte natürlich Spaß, aber einmal hatte er im Bus ihren Busen berührt, das habe sie abgestoßen.
    »Langweile ich dich?«
    »Aber nein«, sagte er.
    »Bist du sicher?«
    »Ich staune über dich. Du hast einen so verblüffenden Wortschatz. Wo hast du so gut Englisch gelernt?«
    »Ich spreche es schon sehr lange«, sagte sie.
    »Aber warum?«
    »Ich nehm an, weil ich auf dich gewartet habe, amore.«
    Soll man den Liebesakt beschreiben, der sie vereinte, der vielleicht in dieser Nacht stattfand? Sie hatte den Schlüssel u der Wohnung einer Freundin. Sie drehte ihn dreimal im Schloß; eine schmale, lackierte Tür, eine von zweien, sprang auf. Es gab keine Teppiche, der Boden war kalt. Er spürte kein Zögern, keine Angst. Es war, als hätte er noch nie zuvor eine Frau gesehen; der Anblick ihrer Nacktheit, die Dunkelheit seines Zentrums überwältigten ihn, sein Herz murmelte Liebesworte, seine Ohren waren voller Geflüster. Die Stadt öffnete sich wie ein Garten, die Straßen nahmen ihn auf und überschütteten ihn mit ihren Namen. Er sah Rom wie einer der Engel Gottes, von oben, von weit her, seine Lichter, seine ärmlichsten Zimmer. Er segnete es, er fiel mitten in das Herz der Stadt. Er wurde zu ihrem Apostel, er glaubte an ihre Gnade.
    Sie setzte ihn vor seinem Hotel ab, und ihr kleines Auto fuhr laut davon. Jede Einzelheit auf dem Weg zu seinem Zimmer -das Gesicht des portiere, der schwere Schlüssel, das Schließen der glänzenden Lifttüren, das Hinauffahren, das Schlendern durch den gewölbten Korridor, alles bestätigte sein Gefühl des Triumphs. Er lag im Bett, zufrieden, in einem so feierlichen Moment allein zu sein und ihn genießen zu können. In den Straßen der schlafenden Stadt schoß ihr Auto dahin, die kargen, modernen Alleen hinunter, über die leeren Plätze, seine Scheinwerfer sprangen über das holprige Pflaster, seine Gedanken umgaben es, beschützten es, während es dahinfuhr.
    Am Morgen klingelte das Telefon. »Ciao, amore«, sagte sie.
    »Ciao.«
    »Ich wollte deine Stimme hören.«
    »Ich hab geschlafen«, gestand er.
    »Ja, natürlich. Den Schlaf des Gerechten. Ich auch ... «
    Ihre Worte weckten ihn auf. Die Zimmermädchen ließen im Flur Besen fallen.
    »Ich stell mir vor, wie du daliegst... « Endlich konnte sie frei reden. Sie hatte so viel zu sagen, so viele Dinge, die gewartet hatten. »Ich stell mir vor, wie du ein Bad nimmst. Das Wasser läuft in die Wanne und erfüllt das Zimmer mit einem luxuriösen Klang.«
    »Bist du zu Hause?« fragte er.
    »Sì. Zu Hause in meinem Bett. Es ist nur ein kleines Bett, es ist nicht wie deins.«
    »Wie meins?«
    »Du hast ein großes, oder? Zumindest stell ich es mir so vor.« Sie rief von ihrem Zimmer aus an, ihre Stimme war ein bißchen vorsichtig, obwohl, wie sie sagte, ihre Mutter kein Englisch sprach. Er war in Italien. Die Mädchen auf der Straße, die Mechaniker, die Jungen aus den Vororten, die im Winter auf ihren Mopeds von der Arbeit nach Hause fuhren, die Hände in Zeitungspapier gewickelt - plötzlich glaubte er, daß er ihr Leben teilen könnte.
    Sie gingen wieder zu der Wohnung mit den Holztüren. Bei Tageslicht wirkte sie verlassen. Der Boden hatte ein undefinierbares Blumenmuster, die Wände waren gelblich-braun. Die englischen Kleider der Wohnungseigentümerin hingen an die Seite geschoben im Schrank. Die Sonne fiel wie zufällig durch ein Fenster. Die Wohnung war kahl und eisig, aber von Mal zu Mal gehörte sie ihnen mehr. Sie gingen samstags hin. Er saß am Fenster und zeichnete die gegenüberliegenden Ruinen. Es lagen Stapel eingerissener Zeitschriften neben seinem Ellbogen: Oggi, Paris-Match. Auf der Straße ab und zu Schritte, der Lärm knatternder Autos. Er schien ruhig, aber er hatte Angst. Ich werde das alles nie lernen, dachte er, die Sprache, die Stunden, das Leben. Er konzentrierte sich auf die Zeichnung, suchte nach den richtigen Farben.
    Sie tauchte an seiner Seite auf. »Stört es dich, wenn ich Musik mache?«
    »Überhaupt nicht.«
    Sie legte eine Platte auf. Sie sah ihm beim Zeichnen zu. Am Nachmittag gingen sie ins Kino. Sie

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