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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Arbeit anderer Menschen betraf. Gegenüber seiner eigenen bewahrte er sich einen milden Respekt. In seinem Glauben, im Herzen seiner Illusionen, lebte das Bauwerk, das auf den Fotografien seiner Epoche zu sehen sein würde, das berühmte Gebäude, das er geschaffen hatte und an dem nichts, keine Kritik, kein Neid, nicht einmal Zerstörung etwas ändern konnte. Er sprach natürlich mit niemandem darüber, außer mit Nedra. Jahr für Jahr verblaßte es mehr und mehr. Es verschwand aus seinen Gesprächen, aber nicht aus seinem Leben. Es würde immer da sein, bis zum Schluß, wie ein großes Schiff, das aufgebockt vor sich hin rottete. Er war beliebt. Er hätte es vorgezogen, verhaßt zu sein. Ich bin zu weich, sagte er.
    »So bist du nun mal«, erklärte Nedra. »Du mußt es dir zunutze machen.«
    Er respektierte ihre Gedanken. Ja, dachte er, ich muß weitermachen. Ich muß ein Gebäude entwerfen, auch wenn es ein kleines ist, das niemand übersehen kann. Dann ein größeres. Ich muß Stufe um Stufe aufsteigen. Ein vollkommener Tag beginnt mit dem Tod, mit dem Anschein des Todes, in vollständiger Kapitulation. Der Körper ist weich, die Seele ist entwichen, alle Kraft, sogar der Atem. Es gibt keine Energie mehr, weder für Gut noch Böse, die leuchtende Sphäre einer anderen Welt ist nah, sie umhüllt einen, die Äste der Bäume draußen zittern. Es ist Morgen, er erwacht langsam, als hätte die Sonne seine Beine berührt. Er ist allein. Es duftet nach Kaffee. Das braune Fell seines Hundes trinkt das brennende Licht.
    Damit sich der Tag entfalten kann, muß er in seiner Bläue, in seiner Endlosigkeit, den geheimen Plan, für den er lebte, verbergen und zugleich bewahren, unsichtbar wie Sterne am Tageshimmel.
    Er wollte nur das eine, die Möglichkeit dieses einen: berühmt sein. Er wollte für das Menschengeschlecht von Bedeutung sein, was gibt es sonst, wonach man streben, worauf man hoffen kann? Er ging bereits bescheiden die Straße hinunter, als wäre er sich dessen, was kommen würde, gewiß. Er besaß nichts. Er besaß nur das sorgfältig zusammengestellte Gepäck bürgerlichen Lebens, schütteres Haar, durch das die Kopfhaut zu schimmern begann, seine makellosen Hände. Und Wissen; ja, er besaß das Wissen. Die Sagrada Familia war ihm so vertraut wie einem Bauern seine Scheune, die »neuen Städte« von Frankreich und England, Kathedralen, Gewölbe, Karniese, Ecksteine. Er kannte das Leben von Alberti, von Christopher Wren. Er wußte, daß Sullivan der Sohn eines Tanzlehrers gewesen war, Breuer Arzt in Ungarn. Aber Wissen schützt einen nicht. Das Leben verachtet Wissen; es zwingt es, im Vorzimmer zu sitzen, draußen zu warten. Leidenschaft, Energie, Lügen: das sind die Dinge, die das Leben bewundert. Dennoch, man kann alles ertragen, solange die ganze Menschheit zuschaut. Die Märtyrer beweisen es. Wir leben in der Aufmerksamkeit anderer Menschen. Wir wenden uns ihr zu wie Blumen der Sonne. Es gibt kein vollkommenes Leben. Es gibt nur Fragmente. Wir kommen auf die Welt, um nichts zu besitzen, um alles durch unsere Hände rinnen zu sehen. Und doch, dieses Rinnen, diese Flut von Begegnungen, Kämpfen, Träumen... man mußte gedankenlos wie eine Schildkröte sein. Man mußte entschlossen sein, blind. Denn was wir auch tun, selbst das, was wir nicht tun, hindert uns daran, das Gegenteil zu tun. Taten zerstören ihre Alternativen, das ist das Paradox. So daß das Leben aus Entscheidungen besteht, jede einzelne endgültig und von geringer Bedeutung, so wie Steine, die man ins Meer fallen läßt. Wir haben Kinder bekommen, dachte er; wir können niemals kinderlos sein. Wir waren bescheiden, wir werden nie wissen, wie es ist, verschwenderisch zu leben...
    Er fühlte sich nicht wohl. Das schwache Radio, das bei den Zeichentischen spielte, lenkte ihn auf merkwürdige Weise ab. Er konnte nicht denken, er war geistesabwesend, er trieb dahin.
    Arnaud kam am späten Nachmittag vorbei. Er saß mit geschlossenem Mantel da. Er sah wie ein Weinbauer aus, wie ein Mann, der Land besitzt.
    »Was ist los?«
    »Ich hab bloß nachgedacht«, murmelte Viri.
    »Ich war heute mittag im Toque essen.«
    »War es gut?«
    »Ich werde dick«, stöhnte Arnaud. »Lunch ist keine Mahlzeit; das ist Arbeit. Die dich auffrißt. Ich war mit einem sehr netten Mädchen essen. Du kennst sie nicht.«
    »Wer ist sie?«
    »Sie war so... alles, was sie sagte, war so überraschend. Sie ist auf einer Klosterschule gewesen. Mit Matratzen aus Stroh.«
    »Und

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