Lichtjahre
das hat dich überrascht?«
»Weißt du, es gibt eine Art Erziehung, eine Art des Aufwachsens, die fatal ist, aber wenn man sie überlebt, ist sie das Beste, was es gibt. Das ist so, als war man heroinsüchtig gewesen oder ein Dieb. Wir versuchen, zu viele Menschen zu retten, das ist das Problem. Du rettest sie, und was kommt dabei raus?«
»Erzähl mir, was hat sie noch so gesagt.«
»Es war nicht nur, was sie gesagt hat. Sie hat - und das war, was mir an ihr gefiel - sie hat genausoviel gegessen wie ich. Wir waren wie zwei Bauern, die einen Handel abschließen. Brot, Fisch, Wein - alles war da. Ich fing an, sie als den nächsten Gang zu betrachten. Und sie ist eine dieser Frauen, die ihre Kleider vollständig ausfüllen. Sie war - du kennst doch diese ›veal and ham pies‹ , die sie in England machen? - sie war en croûte. Und das Allerinteressanteste: sie hinkt.«
»Sie hinkt?«
»Sie kann nicht richtig gehen. Das gibt's nicht oft, eine Frau, die hinkt... Louise de La Vallière hinkte. Louise de Vilmorin auch. Sie hatte Hüfttuberkulose.«
»Tatsächlich?«
»Ja, ich glaube. Was auch noch sehr apart ist, ist eine Frau, die leicht schielt.«
»Die schielt?«
»Nur ein bißchen. Und Zähne. Schlechte Zähne.«
»Alles drei auf einmal?«
»Nein, nein, natürlich nicht«, sagte Arnaud. »Nicht bei derselben Frau. Man kann nicht alles haben.« Es verbarg sich etwas in seinem Ausdruck, er hatte das Lächeln eines Mannes, der sich nicht verraten will. »Es ist schrecklich«, seufzte er. »Was?«
»Ich kann Eve das nicht antun. Ich kann sie nicht betrügen, nur weil... «
»Sie hinkt.«
»Es war einfach nicht richtig«, sagte Arnaud. »Ich mein, sie kocht für mich. Sie hat einen wunderbaren Humor.«
»Und so gut sind ihre Zähne auch nicht.«
»Die gehen noch. Die sind nicht wirklich schlecht.« Er rutschte auf seinem Stuhl hin und her und fand eine neue Position. Seine Kleider saßen ein bißchen eng. »Es ist leicht, sich ablenken zu lassen«, sagte er »Eve ist gut für mich. «
»Sie liebt dich.«
»Ja.«
»Und du?«
»Ich?« Er sah sich um, als suchte er nach etwas, womit er sich beschäftigen könnte. »Ich liebe alle. Ich liebe deine Töchter, Viri. Ich mein das ganz im Ernst.«
»Na ja, das beruht auf Gegenseitigkeit.«
»Ich bin eifersüchtig auf sie. Ich bin auf euer Leben eifersüchtig. Es ist ein vernünftiges Leben. Damit will ich sagen, es ist harmonisch, und das Wichtigste von allem, es ist eng mit der Zukunft verbunden, wegen eurer Kinder. Ich meine, du weißt das sicher selbst, aber was für eine Bedeutung das jedem Tag gibt.«
»Warum hast du keine Kinder?«
»Ja. Na ja, zuerst, würd ich sagen, brauche ich eine Frau. Und zu allem Unglück hast du auch noch die Frau, die ich gern hätte. Nedra hat keine Schwester, oder?«
»Nein.«
»Das ist wirklich zu schade. Ich würde gerne ihre Schwester heiraten. Obwohl das eigentlich wie Ehebruch wäre.« Seine Stimme hatte nichts Beleidigendes an sich. »Nein, du bist wirklich ein glücklicher Mann«, sagte er. »Aber das weißt du ja. Also, wenn irgend etwas passieren sollte... «
Viri lächelte.
»Nein, wirklich. Wenn dir irgend etwas zustoßen sollte... deine Frau, deine Kinder, ich würde mich um sie kümmern. Ich würde deine Liebe fortsetzen.«
»Ich glaube nicht, daß irgendwas passieren wird.«
»Man weiß ja nie«, sagte Arnaud gutgelaunt.
»Sag mal«, fragte Viri, »warum kommst du nicht am Wochenende zu uns zum Abendessen raus?«
»Wunderbare Idee.«
»Du und Eve.«
»Das hab ich doch fast vergessen«, sagte Arnaud plötzlich. Er suchte in seiner Tasche. »Ich habe ein Geschenk für Franca. Ich hab es bei Azuma gekauft. Es ist ein Froschring.«
»Warum gibst du ihn ihr nicht selbst?«
»Nein, nimm ihn mit. Ich möchte, daß sie ihn heute abend bekommt.«
»Ich werd ihr sagen, daß er von dir ist.« »Sag ihr, daß er von Yassir Raschid ist, dem König der Wüste. Sag ihr, wenn sie jemals in Gefahr sein sollte, muß sie ihn nur zeigen, und sie wird im Schöße der Wüstenstämme Schutz finden.«
»Hör mal, Yassir, was hältst du von einem kleinen Scotch, bevor du verschwindest?«
»Es gibt drei Dinge, die man in der Wüste nicht verstecken kann«, sagte Arnaud. »Ein Kamel, Rauch und... weißt du was? Wir sehen zu viele Filme.«
»Auf Eis?« fragte Viri.
»Sie töten die Phantasie. Du hast doch sicher von blinden Märchenerzählern gehört. Mythen entstehen in der Dunkelheit. Das Kino kann das nicht. Hab ich
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