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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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fabelhaftes Buch.«
    »Sieh mal.«
    »Was ist das? Ein Palast.«
    »Es ist ein Teil der Oper.«
    »Der Pariser Oper.«
    »Ja.«
    »Es ist wunderschön.«
    »Siehst du, man kann die Türen öffnen.«
    »Mach sie auf. Was ist drinnen?«
    »Das errätst du nie. Die Titanic.«
    »Nein, wirklich.«
    »Wie sie untergeht.«
    »Du bist verrückt.«
    »Nur, die Frage ist, werden sie erkennen, was es sein soll?«
    »Das müssen sie gar nicht, man sieht doch, was es ist«, sagte Nedra. »Was ist in den andern?«
    Es war spät. Er war müde.
    Für Danny hatte er einen Bären gekauft, einen riesigen Bären auf Rädern mit einem Halsband und einem kleinen Ring an der Schulter; wenn man daran zog, begann er zu brummen. Was für ein Gesicht er hatte! Er war alle Bären zusammenge-nommen, russische Bären, Zirkusbären, Bären, die aus einem Baumstamm Honig klaubten. Es war ein Geschenk, das Kinder reicher Eltern bekommen und am nächsten Tag nicht mehr beachten, das Geschenk, das immer im Gedächtnis bleiben wird. Er hatte fünfzig Dollar gekostet. Viri hatte ihn im Kofferraum des Autos nach Hause gebracht.

    Heiligabend war es kalt und windig. Es wurde früh dunkel, auf allen Straßen waren endlose Autoketten. Viri traf spät mit den letzten Paketen ein, dem Brandy, Nedras Zigarren. Der Schnee auf der Erde ließ alles heller werden. Das Haus war voller Musik; Hadji lief bellend von Zimmer zu Zimmer.
    »Was hat er denn?«
    »Er ist aufgeregt«, sagten sie.
    »Ich mußte vorhin an ihn denken. Wir haben gar nichts für
    ihn. «
    »Ich hab ihm was besorgt«, sagte Nedra.
    »Ich finde, wir sollten ein Stück über ihn machen.«
    »Was?« riefen sie. »Wie denn?«
    »Darüber, wie er sich verliebt. In eine Kröte.«
    »Oh ja, Papa!« sagte Franca.
    »Toll!«
    In der Auffahrt ging Jivan, die Arme voller Geschenke, an den erleuchteten Fenstern vorbei. Ein flüchtiger Blick auf weiße Bücherborde, Kinder, deren Stimmen er nicht hören konnte, Nedra, wie sie lächelte.
    Sie saßen am Kaminfeuer, während Viri vorlas. Eine Kinder-Weihnacht in Wales, ein Meer von Worten, das seinen Mund benetzte, ein endloses Meer. Sie waren hingerissen, die bloßen Laute machten sie benommen. Seine ruhige Erzählerstimme floß dahin. Der Kopf des Hundes lag dreieckig wie der einer Schlange auf seinem Knie. Der letzte Satz. In der Stille, die folgte, träumten sie, vom Holz fielen Flecken weißer Glut leise in die Asche, die Kälte lag vor den Fenstern, das Haus war angefüllt mit brillanten Überraschungen. Jivan war still, er fühlte sich wie ein Gast. Seine Geliebte war unberührbar. Sie steckte tief in ihren Ritualen und Pflichten. Er war eifersüchtig, zeigte es aber nicht. Sie bedeuteten ihr viel, diese Dinge; sie machten ihr Wesen aus. Ihretwegen lohnte es sich, sie zu stehlen.
    Es gab kein Abendessen; sie waren zu sehr mit allerletzten Vorbereitungen beschäftigt. Viri und Nedra arbeiteten gemeinsam, Jivan half, und die Mädchen packten in ihren Zimmern Geschenke ein. Die Kerzen blieben bis nach Mitternacht an. Es war eine große Feier, die größte des Jahres. Nedra hatte die Laken gewechselt. Sie gingen zufrieden schlafen. Ihr Sinn für Ordnung war befriedigt. Sie war müde, erfüllt.
    »Du hast heute abend so schön vorgelesen«, sagte sie.
    »Findest du?«
    »Ja, ich habe ihre Gesichter beobachtet.«
    »Es hat ihnen gefallen, nicht?«
    »Sie waren begeistert. Jivan auch.«
    »Er hat das heute zum ersten Mal gehört«, sagte Viri.
    »Wirklich?«
    »Hat er mir gesagt. Aber du hast recht, es hat ihm gefallen. Es hat ihm, glaube ich, sogar sehr gefallen. Weißt du, er liest ziemlich viel.«
    »Ich weiß.«
    »Er ist tiefer, als man denkt«, sagte Viri. »Das macht ihn so interessant.«
    »Wie meinst du das?«
    »Na ja, ich kenn ihn ganz gut. Er verbirgt irgend etwas.«
    »Und was, glaubst du, ist das?« fragte Nedra.
    »Das Wort ist so ungenau und abgedroschen, es drückt wirklich nicht aus, was ich meine, aber ich glaube, er versteckt Liebe. Ich meine damit eine Art von Sensibilität. Er ist ein Nomade, er mußte immer kämpfen. Weißt du, man würde nicht annehmen, daß wir was miteinander gemein hätten, aber da ist irgend etwas.«
    »Ich glaub auch.«
    »Ich bin mir ganz sicher«, sagte Viri. »Wir sind auf ganz verschiedenen Ebenen, aber da ist etwas.«
    »Es ist so schwer, solche Dinge richtig zu verstehen«, sagte sie.
    Sie schliefen. Das Haus lag im Dunkeln, seine Zimmer waren gespenstisch. Das Feuer war ausgegangen, der Hund schlief, die

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