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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Faltenrock, Kniestrümpfe, flache Absätze. »Es ist das Öl«, sagte ihr Vater. »Man darf nur Qualitätsöl nehmen, und man muß es alle tausend Meilen wechseln -nicht dazuschütten, wechseln. Egal, was sie dir erzählen. Erinnerst du dich an den Plymouth, den ich hatte?«
    »Den Plymouth?«
    »Den 36er Plymouth«, sagte er. »Ich bin ihn den ganzen Krieg über gefahren.«
    »Ja, natürlich erinner ich mich.«
    Sie stellte Käse auf den Tisch, harte italienische Wurst, Wein.
    »Hast du Bier da?« fragte er. »Ich möchte nur ein Glas Bier. Wo ist Viri?«
    »Er kommt bald.«
    »Er sollte das hören.«
    »Ich glaub nicht, daß ihm das was nützen würde.«
    An dem Abend fragte er Jivan: »Sie haben ein Auto?«
    »Ein Auto? Ja«, sagte Jivan. Er war eingeladen worden, um mit ihnen Poker zu spielen. Sie saßen alle am Tisch, vor ihnen stapelten sich rote und blaue Chips, die Karten wurden gemischt. »Ich habe einen Fiat.«
    »Ich setze fünf Cent«, sagte Nedras Vater. Er hämmerte mit hartem Zeigefinger vor sich auf den Tisch. Die Camels lagen neben seiner Hand. Er gab mit zittrigen Händen. »Ein Bube«, sagte er. »Eine Fünf. Eine Sieben. Noch eine Sieben. Ein Fiat, ja? Warum fahren Sie keinen Chevrolet?«
    »Chevrolet ist ein gutes Auto«, pflichtete Jivan ihm bei.
    »Das können Sie laut sagen. Selbst alt und klapprig ist er noch ein besseres Auto als Ihres neu.«
    »Glauben Sie?«
    »Ich glaub das nicht, ich weiß das. Sie sind dran, Iwan.«
    »Ja, komm«, sagte Nedra. »Ich hab heute Glück.«
    »Sie will immer gewinnen«, sagte ihr Vater.
    »Ich liebe es zu gewinnen«, lächelte sie.
    Ein freundschaftliches Spiel in der Wärme der Küche. Wie sorgfältig sie alles für ihn vorbereitete, wie aufmerksam sie war. Dieser hustende Vertreter, der ihr Vater war, sie akzeptierte ihn aus ganzem Herzen. Er bat sie um nichts, außer sie gelegentlich besuchen zu dürfen. Er blieb nie länger als geplant. Er schrieb keine Briefe, sein Leben hatte er, unterwegs von Kunde zu Kunde, im Auto verbracht, in Bars, wo Frauen mit schwerer Zunge sprachen, in dem Haus, aus dem Nedra Jahre zuvor geflüchtet war, ein Haus, in dem man sie sich nicht vorstellen konnte: uralte Möbel, ein kleines Dach über der Hintertür. Ein Haus ohne Bücher, ohne Vorhänge, mit einem Keller, der nach Kohlenstaub roch. Hier wuchs sie auf, Tag für Tag, ein Kind, das noch mit sechzehn nicht erkennen ließ, was einmal aus ihm werden würde, bis sie plötzlich eines Sommers alles von sich abstreifte und verschwand. An ihre Stelle trat eine junge Frau, die nichts geerbt hatte, an der alles einzigartig war, als wäre sie eine Botschaft oder ihre Überbringerin, unbegreiflich, in sich ruhend, ohne ein Mal auf ihrem Körper, ohne einen Makel.
    »Ist das wirklich dein Vater?« murmelte Jivan. Sie antwortete nicht. Ihre Vorderarme ruhten auf dem Boden, sie war sprachlos, sie sah nichts. Der Teppich drückte sich in ihre Ellbogen, ihre bloßen Knie. Er kniete hinter ihr. Er bewegte sich nicht. Mit einer ernsten, einer grausamen Langsamkeit wartete er, wie ein Funktionär, wie ein Mann, der eine Totenglocke läuten wird. Er lauschte dem fernen Straßenverkehr, sie konnte seine Hingabe spüren, seine Ruhe.
    »Er ist es doch nicht wirklich?«
    »Doch.«
    Er berührte sie. Das Wort wurde von ihrem Atem erstickt. Sie weinte. Es war, als wenn eine Schlange einen Frosch hinunterwürgte, langsam, unmerklich. Ihr Leben ging kampflos zu Ende, regungslos, nur dann und wann unwillkürliches Zucken wie hilflose Seufzer. Seine Stimme schien über sie hinwegzuspülen wie in einem Traum: »Ich kann mir das gar nicht vorstellen.«
    Sie sagte nichts. Es war noch nicht zu Ende, es dauerte noch an. Sie war wie eine erwürgte Frau. Sie hatte die Stirn an den Teppich gepreßt.
    »Du liebst ihn sehr, nicht? Komm, sprich mit mir.«
    »Ja.«
    »Ich höre deine Stimme so gerne.«
    Sie mußte erst schlucken. »Ja.«
    Sie trug das Atmband, das er ihr geschenkt hatte, aus tief-violetten Steinen. Sie trug es zwischen drei Goldreifen. Man konnte es hören, wenn sie sich bewegte, ein schwaches, sinnliches Geräusch, das sie zu seinem Eigentum erklärte, selbst wenn er bei ihrem Mann saß und sie in der Küche hörte oder wenn sie in seiner Abwesenheit die Seiten einer Zeitschrift umblätterte.
    »Ich hab ein Rezept entdeckt«, sagte er. »Soll ich es dir vorlesen?«
    Sie konnte hören, wie er Seiten umblätterte.
    »Rillettes d'Oie«, sagte er. »Hab ich das richtig ausgesprochen?«
    Sie

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