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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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liefen um ihr Handgelenk; sie würde neunzig Jahre alt werden. Sie hatte ihr Interesse an der Ehe verloren. Mehr war nicht darüber zu sagen. Sie war ein Gefängnis.
    »Nein, ich sag dir, was es ist«, sagte sie. »Mir ist sie gleichgültig. Glückliche Paare langweilen mich. Ich glaube nicht an sie. Sie sind verlogen. Sie machen sich was vor.« »Viri und ich sind Freunde, gute Freunde. Ich glaube, das werden wir auch immer bleiben. Aber der Rest, der Rest ist tot. Wir wissen es beide. Es ist sinnlos, sich was vorzumachen. Man schmückt das Ganze wie eine Leiche, aber innen ist es schon verfault.«
    »Wenn Viri und ich geschieden sind...«, sagte sie.

    In dem Sommer kam Arnaud zu Besuch. Seine Ankunft hätte Chaplin Ehre gemacht. Er fuhr mit Eve in einem weißen Coupé vor, winkte fröhlich, als er auf einen Baumstumpf auffuhr. Die Vorderräder gingen hoch, und der Kühler hing einen Meter über dem Erdboden. Er bezog zwei Zimmer im hinteren Teil des Hauses, ein Schlafzimmer und eine Sonnenveranda mit Blick über die Felder. Er trug eine weiße Mütze und ein geripptes Hemd, Hosen in der Farbe von Tabak oder gewisser Parfums und als Gürtel einen Schal. Er war unverschämt, fröhlich, aalglatt. Das erste, was er tat, war, für hundertfünfzig Dollar Alkohol zu kaufen.
    »Ein wundervolles Geschenk«, erinnerte sich Nedra.
    »Na ja«, sagte Viri, »wenn man's genau nimmt... «
    »Er hat nicht alles getrunken.«
    »Alles nicht.«
    Und Zigarren. Es war der Sommer mittäglicher Mahlzeiten und fabelhafter Zigarren. Jeden Mittag, nachdem sie das Essen in der Sonne beendet hatten, fragte Nedra: »Arnaud, was wollen wir rauchen?«
    »Laß mich mal sehen«, sagte er dann.
    »Eine Coronita?«
    »Nein, ich weiß nicht... vielleicht. Was hältst du von einer Don Diego?« fragte er. »Eine Don Diego oder eine Palma.«
    »Eine Palma.«
    »Genau das Richtige.«
    Sie schrieb an Jivan: Du weißt, wie schrecklich mir der Gedanke war, von Dir getrennt zu sein - wenn auch nur für ein paar Wochen, aber irgendwie ist es nicht so schlimm, wie ich es mir vorgestellt hatte. Nicht, daß ich nicht an Dich denke. Wenn überhaupt denke ich sogar noch mehr an Dich, aber der Sommer erscheint mir wie ein einziger langer Tag, nachdem wir zusammen waren. Ich habe Zeit, mich zu erinnern und Dich noch einmal zu spüren. Es ist wie schlafen, wie baden. Wir haben oft darüber gesprochen, zusammen ans Meer zu fahren, und obwohl ich ohne Dich hier bin, sehe ich alles durch Deine Augen und bin zufrieden. Ich könnte das nicht so empfinden, wenn ich Dich nicht liebte und Deine Liebe nicht so stark spürte. Wir haben ein solches Glück. Diese unglaubliche Elektrizität, die zwischen uns hin-und hergeht. Ich küsse Dich viele Male. Ich küsse Deine Hände. Franca spricht oft von Dir. Sogar Viri redet von Dir...
    Neben der Unterschrift war eine kleine Zeichnung aus dem Gedächtnis.
    Sie bekam Post von Robert Chaptelle, der in Varengeville war. Seine Karten begannen ohne Anrede, seine Schrift war unleserlich und dicht gedrängt. Mein Stück ist etwas ganz Neues, es dauert zweieinhalb Stunden, ohne Pause. Es heißt »Le Begaud«. Ich gebe ihm momentan den letzten Schliff.
    »Also ist er wieder in Frankreich«, sagte Viri.
    »Ja.«
    »Welch ein Verlust.«
    Dies ist mein Zeitplan, und ich habe mir vorgenommen, ihn genau einzuhalten. Bis zum 15. August bleibe ich im »Hôtel de la Terrasse«. Bis zum 30. August im »L'Abbaye« in Viry- Chatillon. Und den ganzen September im Wilbraham Hotel, Sloane Street, London.
    Ein gewisser Ned Portman wird Dich vielleicht anrufen. Ein Amerikaner, ziemlich intelligent, den ich hier kennengelernt habe. Er kennt meine Arbeit, und was er über mich zu sagen hat, könnte Dich vielleicht interessieren.
    Sie hatte nichts zu sagen, aber es gelang ihr, eine kurze Antwort zu schreiben. Seine Botschaften hoben auf merkwürdige Weise ihre Stimmung, die unterstrichenen Wörter und Briefmarken von Le Touquet und von Skulpturen berühmter Köpfe aus den Dreißigern.
    Die Kinder liebten Arnaud. Sein lockiges Haar bleichte aus, es war viel zu lang. Er hatte einen dicken Bauch; ihr Vater wirkte schlank dagegen. Arnaud war ein Patriarch, ein Alphamännchen. Er trug einen Strohhut, seine Zehen bewegten sich zufrieden, wenn er im Sand lag, ein Strandmensch mit weißen Zähnen, weiß wie Muscheln, und Taschen voll zerknitterter Geldscheine. Er handelte mit alten Büchern. Er hatte Geld, weil sein Unternehmen gut geführt wurde und weil er keine

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