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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Sekunden.«
    »Noch mal«, bat sie.
    Der Wind kam vom Land. Die Wellen schienen ohne Geräusch zu brechen.
    Tage am Strand. Sie gingen am späten Nachmittag nach Hause, die weiten Flächen leuchteten unter einer Sonne, die ihre Glut verloren hatte. Mittagessen, die sie schützten wie ein Zelt. Unter einem großen Schirm breitete Nedra das Essen aus, Hühnchen, Eier, Endiviensalat, Tomaten, Paté, Käse, Brot, Gurken, Butter und Wein. Oder sie aßen an einem Tisch im Garten, in der Ferne das Meer, die Bäume grün, leise Stimmen vom Haus nebenan. Ein weißer Himmel, Stille, die duftenden Zigarren.
    Sie sprach oft von Europa. »Ich brauche das Leben, das man dort führen kann«, sagte sie. »Frei von Zwängen.«
    »Zwängen?« fragte Arnaud. Seine Augen waren halb geschlossen, er döste. Viri war in die Stadt gefahren. Sie waren allein.
    »Ich brauche ein großes Haus.«
    »Ich glaube nicht, daß du vielen Zwängen unterworfen bist.«
    »Und ein Auto.«
    »Du führst ein sehr ungezwungenes Leben.«
    »Ja, schon, ich rede aber von den Zwängen anderer Menschen.«
    »Ach so, von denen anderer Menschen. Aber dich interessieren andere Menschen doch gar nicht. Ich kenne niemanden, den andere Menschen so wenig kümmern wie dich.« Sie schwieg. Sie sah auf ihre Füße, an denen sie wie zum ersten Mal blaue Adern entdeckte. Die Sonne stand an ihrem höchsten Punkt. Sie spürte, als wäre es ein Moment von Schwerelosigkeit, daß ihr Leben sich ebenfalls an seinem Scheitelpunkt befand; es trieb still dahin, bereit, zum letzten Mal die Richtung zu wechseln.
    »Weißt du, ich denke daran, mich scheiden zu lassen«, sagte sie. »Viri ist so ein guter Vater. Er liebt die Kinder so sehr, aber das ist es nicht, was mich davon abhält. Auch nicht der ganze juristische Kram und die Auseinandersetzungen, die Regelungen, die getroffen werden müssen. Das eigentlich Deprimierende ist der totale Optimismus des Ganzen.« Arnaud lächelte.
    »Ich möchte reisen«, sagte sie. Sie dachte nicht wirklich nach; die Worte stiegen aus ihrem Innern auf, kamen an die Oberfläche: »Ich möchte am Ende eines Tages auf ein hübsches Zimmer gehen, auspacken, baden. Ich würde gerne zum Abendessen hinuntergehen. Schlafen. Und dann, am Morgen... die Londoner Times .«
    »Auf der mit Bleistift die Zimmernummer steht.«
    »Ich möchte mit einem Scheck bezahlen können, ohne auch nur darüber nachzudenken.«
    »Ja, nicht? Egal was die Leute sagen, das ist das einzig wahre große Gefühl.«
    »Ich würde mich gerne ganz neu einkleiden.« Sie saßen unter einer Glocke aus Hitze und mittäglicher Stille, träge, wie erschöpft, als wären sie irgendwo auf Sizilien, sie tauschten Geheimnisse aus, die sie umspülten wie langsame Strömungen, und es war ebenso reizvoll, Geständnisse zu machen, wie sie zu hören.
    »Arnaud, ich mag dich wirklich sehr gerne. Du bist mir von allen Männern der liebste, weißt du das?«
    »Zumindest hab ich das gehofft.«
    »Ich mein das im Ernst. Du hast eine besondere Art, Dinge zu verstehen, zu verstehen und zu akzeptieren.«
    »Das scheint so.«
    »Du hast einen wundervollen Humor.«
    »Leider«, sagte er, »beruht Humor zum großen Teil darauf, daß einem die anderen egal sind. «
    »Ach, das glaub ich nicht.«
    »Humor entsteht durch Distanz. Es ist paradox. Wir sind die einzigen Wesen, die lachen, sagt man, und je mehr wir lachen, desto gleichgültiger sind wir.« »Ich glaube nicht, daß das stimmt.«
    »Hhm.« Er dachte nach. »Vielleicht. Eine Menge klarer Gedanken, die einem in solch nachdenklichen Stunden kommen, besonders nach dem Lunch, erweisen sich später als doch nicht so ganz stichhaltig. Das war ein herrlicher Sommer.«
    »Das denke ich jeden Tag«, sagte sie.
    Gegen Ende, in den letzten Tagen des Augusts, lagen sie abends immer auf dem Rasen, Arnaud im langärmligen Hemd auf einen Ellbogen gestützt, in einer Haltung wie Manet, Viri und Nedra sitzend daneben. Vor ihnen auf dem Rasen war das Tischtuch ausgebreitet. Die hohen, dichtbelaubten Bäume seufzten im Wind. Viri hatte die Arme um die Knie geschlungen, man sah seine Socken.
    »Ein herrlicher Sommer war das«, sagte er, »findet ihr nicht?«
    Sie wußten nicht, was sie da priesen; die Tage, das Gefühl der Zufriedenheit, die reine, heidnische Freude. Sie feierten den Sommer ihres Lebens, in dem sie fern aller Gefahren ruhten. Ihr Körper sprach, ihr Wohlgefühl.
    »Ich geh die Suppe holen«, sagte Nedra.
    »Was für eine ist es?« fragte Viri.
    Sie erhob sich

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