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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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schließlich, er oder ich. Ich hätte sagen sollen: Okay, du. Damals hatte ich keine Ahnung.«
    Das Essen wurde auf großen, warmen Tellern serviert: Rindergeschnetzeltes und Rösti, zum Dessert Himbeeren mit Sahne. Er leerte die zweite Flasche Wein. Draußen war es kalt, die schmalen Straßen waren dunkel, der Schnee knirschte unter den Sohlen. Seine Augen waren glasig. Er war wie ein geschlagener Boxer, der in seiner Ecke wartet. Er konnte immer noch lächeln und reden, er hielt das Leben noch immer fest umschlungen, aber er war erschöpft. Als Bekannte auf ein paar Worte zu ihnen an den Tisch kamen, erhob er sich nicht, er konnte nicht, aber er erinnerte sich an Nedras Namen.
    »Wie wär's mit einem Cognac?« sagte er. Er rief die Kellnerin. »Rémy Martin. Zwei. Rémy Martin ist gut«, riet er Nedra. »Martell ist gut, aber ich kenne Martell. Ich meine, persönlich. Er ist so schon reich genug.«
    »Sie scheinen eine Menge Leute zu kennen. Was machen Sie?«
    »Ich bin Privatier. Ich war im Bankgeschäft, aber ich hab mich zurückgezogen. Jetzt vergnüge ich mich nur noch. Ich habe keine Verpflichtungen. Ich kann alles am Telefon erledigen. Ich bin meine Probleme losgeworden.«
    »Zum Beispiel?«
    »Zum Beispiel alles«, sagte er. »Ich denke daran, nach Indien zu gehen.«
    »Ich würde gerne mal nach Indien fahren. Ich habe mit Indern studiert.«
    »Ich wette, daß Sie keine Ahnung davon haben.«
    »Von Indien?«
    »Waren Sie jemals dort?«
    »Nein.«
    »Tja, das ist das Problem«, sagte er. »Man studiert, aber Indien ist etwas anderes.«
    »Es gibt wahrscheinlich mehr als nur ein Indien.«
    »Mehr als ein Indien... nein, es gibt nur eins. Es gibt nur ein Chesa, eine Nedra und einen Harry Pali. Ich wünschte, es gäbe zwei, mit zwei Lebern.«
    »Waren Sie mal in Tunesien?«
    »Lassen Sie sich nie mit Arabern ein!«
    »Warum?«
    »Glauben Sie mir einfach. Glauben Sie mir«, murmelte er. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Sie sind nicht mehr so jung, aber denen ist es sogar egal, wie jung man ist. Sie sind ein krankes Volk.«
    »Sie sind schrecklich arm dort.«
    »Die sind nicht so arm. Ich war arm. Sehen Sie, Sie können machen, was Sie wollen, die waren schon immer so, die werden sich nicht ändern. Man kann ihnen Schulen geben, Lehrer, Bücher, aber wie soll man sie davon abhalten, die Seiten aufzu-essen?«
    Er ließ sich die Rechnung kommen und unterschrieb sie mit krakeliger unleserlicher Schrift. »Carlo«, rief er.
    »Ja, Mr. Pali.«
    »Carlo«, er erhob sich vom Stuhl. »Würden Sie dafür sorgen, daß Mrs .... Berland«, endlich erinnerte er sich, »nach Davos gebracht wird.« Er wandte sich ihr zu. »Wir treffen uns morgen auf dem Gipfel«, sagte er. »Zum Mittagessen. Ich bin im Augenblick zu betrunken, um Ihnen länger Gesellschaft zu leisten.«
    Sein Auge fiel auf das Glas Cognac. Er stürzte ihn herunter, als wäre es Medizin. Das schien ihn zu beleben, eine plötzliche, trügerische Welle überlief ihn, er faßte sich.
    »Nedra, gute Nacht«, sagte er mit sehr klarer Stimme und verließ den Raum mit festem, tief konzentriertem Schritt, als übte er ihn ein. Auf den Eingangsstufen fiel er hin.
    »Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?« fragte der Ober Nedra.
    »In ein paar Minuten«, sagte sie.
    Sie fühlte sich gut, erfüllt von einer Art heidnischen Glücks. Sie war wieder ein elegantes Wesen, allein, bewundert. An der Bar nahm sie mit seinen Freunden noch einen Drink. Sie sollte noch viele seiner Freunde kennenlernen. Es war der Anfang des Triumphes, zu dem ihr kahles Zimmer im Bellevue sie berechtigte, wie ein Schulzimmer einen zu glanzvollen Begegnungen berechtigt, zu Liebesnächten.

3
    Franca arbeitete in einem Verlag, es war ein Ferienjob. Sie saß am Telefon und sagte: »Miss Habeebs Büro.« Sie tippte und nahm Nachrichten entgegen. Es schauten Leute bei ihr herein - das heißt Angestellte, Laufburschen aus dem Postraum, junge Lektoren, die an ihrem Schreibtisch vorbeikamen. Sie war das Mädchen, für das in gewisser Weise das ganze Haus plötzlich existierte. Sie war zwanzig. Sie hatte langes dunkles Haar, das sie in der Mitte scheitelte. Wie bei manchen schönen Frauen lag in ihren Zügen ein Anflug von etwas Männlichem. Manchmal ist man gebannt von einem Mädchen, das schnell läuft, deren Hüften so schmal sind wie die eines Farmerjungen, von ihren knabenhaften Armen. In Francas Fall waren es gerade, dunkle Augenbrauen und Hände wie die ihrer Mutter - langgliedrig, tüchtig, blaß.

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