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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Dunkelheit, zügig fahrend, kam sie an dem gespenstisch weißen Zaun des Feldes vorbei, wo Leslie Dahlander ihr Pony geritten hatte. Die Stille dieser Weide nahm in einer Weise Abschied von ihr, wie nichts anderes es getan hatte. Andächtig, dunkel, wie die Stelle, an der ein Schiff gesunken war. Das Pony war noch am Leben. Es war lahm geworden; es war auf einem Feld hinter dem Haus. Und jetzt begann sie zu weinen, ohne den Kopf zu senken, Tränen für das tote Kind einer anderen strömten ihr übers Gesicht, während die Sechs-Uhr-Nachrichten begannen. Viri war im Haus zurückgeblieben. Alle Gegenstände, sogar jene, die ihr gehört hatten, die er nie berührte, schienen seinen Verlust zu teilen. Er war plötzlich von seinem Leben getrennt. Die Anwesenheit, ob liebend oder nicht, welche die Leere von Zimmern füllt, sie freundlich macht, sie erhellt - sie war fort. Die bloße Gier, die einen an einer Frau festhalten läßt, machte ihn auf einmal verzweifelt. Er war wie gelähmt. Eine verhängnisvolle Leere hatte sich aufgetan, wie der Abstand zwischen einem ablegenden Schiff und dem Kai, der auf einmal zu weit ist, um zu springen; alles ist noch da, sichtbar, aber man kann nicht mehr hinüber.
    »Vielleicht sollten wir essen gehen«, sagte er zu Danny.
    Sie sprachen kaum. Sie aßen schweigend wie Reisende. Als sie zum Haus zurückkamen, stand es erleuchtet und leer da wie ein Hotel am Stadtrand, offen, aber verloren.
    »Hallo, Hadji«, sagte er. »Wir haben dir was Leckeres zu essen mitgebracht. Armer alter Hadji, deine Mutter ist jetzt weg. «
    Er hielt den Hund in den Armen. Die graue Schnauze lag an seiner Brust, die steifen Beine hingen herunter. Danny schnitt das Steak, das sie mitgebracht hatten, in kleine Stücke.
    »Mach dir keine Sorgen, Hadji«, sagte Viri. »Wir werden uns um dich kümmern. Wir werden Feuer im Kamin machen. Wenn es schneit, gehn wir runter an den Fluß.«
    »Hier, Papa.« Sie gab ihm den Teller. Sie weinte.
    »Arme Danny.«
    »Schon gut. Ich hab mich nur noch nicht daran gewöhnt.«
    »Nein, natürlich nicht.«
    »Ich geh nach oben.«
    »Ich werd Feuer machen«, sagte er. »Vielleicht kommst du ja später runter.«
    »Ja, vielleicht«, sagte sie. Sie war wie ihre Mutter, sie legte sich nicht fest, sie gab nichts preis. Sie hatte eine etwas vollere Figur als Nedra und einen leicht grausamen Mund, weiche trotzige Lippen und ein unwiderstehliches verschlagenes Lächeln. Ihr Gesicht hatte die mürrische Resignation von Mädchen, die etwas studieren, worin sie keinen Sinn sehen, Mädchen, mit denen das Schicksal es nicht gut gemeint hat, die gezwungen sind, sonntags zu arbeiten, Mädchen in aus-ländischen Bordellen. Es war ein Gesicht, das man anbeten konnte.

2
    Diesen Winter verbrachte Nedra in Davos, einem Ort, von dem man ihr fälschlicherweise erzählt hatte, daß sie ihn interessant finden würde. Selbst verschneit wirkte er bedrückend. Die Sonne allerdings strahlte. Eine Luft, klar wie Quellwasser, erfüllte ihr Zimmer.
    Eines Tages wurde ihr beim Mittagessen ein Mann namens Harry Pali vorgestellt.
    »Wo wohnen Sie, in Paris?« fragte er sie.
    »Ich weiß noch nicht.«
    »Sie sehen nach Paris aus«, sagte er. Er schenkte sich reichlich Wein in sein Glas, deutete dann mit der Flasche in ihre Richtung.
    »Sehr gerne. Vielen Dank«, sagte sie.
    Er hatte lockiges Haar, seine Augen waren blaßblau. Er war fünfzig, hatte einen mächtigen Torso und ein Gesicht, das das Alter auseinandertrieb wie nasses Papier. Er dominierte die Tafel mit seiner Kraft und seiner Stimme, und doch hatte er etwas an sich, das sie sofort berührte. Es war die Ähnlichkeit mit Arnaud. Er war wie ein zerschlagener Überlebender derselben Familie, der ältere Bruder, der ohne Schmerzen sterben würde, heiter, witzelnd, und der für die Krankenschwester hundert Dollar hinterließ. Seine Hände waren Pranken. Er war der letzte der Bären, so schien es zumindest. Wein, Geschichten, Freunde; er war ein Mann, der voll bekleidet im Strom der Tage lag.
    »Ich will nichts hinterlassen«, gestand er. Seiner Exfrau zumindest auf gar keinen Fall. »Sie hat sowieso schon alles, außer der Privatnummer meines Anwalts.« Mit seinem Sohn war das etwas anderes. Seinem Sohn würde er ein paar Geliebte hinterlassen. »Wie Dumas.« Er lachte. »Sie sind sicher, daß Sie nicht aus Paris sind?«
    »Warum Paris?«
    »Sie sind groß, wie ein Mannequin von Dior.«
    »Nein. «
    »Ein Ex-Mannequin von Dior. Es kommt die Zeit im Leben, da

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