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Lichtjahreweit

Lichtjahreweit

Titel: Lichtjahreweit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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rollte in die große, leere Schleusenkammer, und das äußere Tor schloß sich wieder. Zischend wurde Luft in den Raum gepumpt, so daß nach kurzer Zeit der Druckausgleich erreicht war und eine atembare Atmosphäre herrschte.
    »Gleich ist es soweit!« sagte Kiyunati und rieb sich die Hände. »Gleich.«
    Ein heller, unerträglich greller Blitz blendete ihn, schwärzte sein Gesichtsfeld, aber die Helligkeit kam von innen, leuchtete hinter seiner Stirn. Er schrie und stöhnte, wimmerte vor Furcht, fühlte, wie seine Gedanken zerbarsten, seine Vorstellungen verfaulten, seine Wünsche verbrannten. Es war, als würde er von innen nach außen gestülpt, wie ein nasser Handschuh, und es war ein widerwärtiger, übelkeitserregender Vorgang, eine angsttreibende Metamorphose. Kiyunati spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach und irgend etwas Entsetzliches sich ihm näherte.
     
    UND DANN VERSTAND ER.
    »Mein Gott!« sagte Gersson.
    DURCH DAS INNERE, AUSEINANDERKLAFFENDE SCHLEUSENTOR DRANGEN DIE AUFSEHER, DIE DAFÜR ZU SORGEN HATTEN, DASS DIE ZURÜCKKEHRENDEN ARBEITER NACH ERLÖSCHEN DES HYPNOTISCHEN BLOCKS UNVERZÜGLICH WIEDER IN IHRE SEPARATEN AUFENTHALTSRÄUME ZURÜCKGEFÜHRT WURDEN, DENN MANCHE WAREN SEHR ENTTÄUSCHT, WENN DIE ILLUSION VERSCHWAND, UND NICHT SELTEN WURDEN DADURCH WERTVOLLE ARBEITSKRÄFTE VORÜBERGEHEND UNVERWERTBAR.

 
Kirschlicht und Glaspol
     
    Möglicherweise irritierte es Sie, in einer Sammlung recht gegenwartsnaher SF-Erzählungen auf eine Geschichte zu stoßen, die augenscheinlich dem Fantasy-Genre zuzurechnen ist. In der Tat erschien »Kirschlicht und Glaspol« ursprünglich in einer Anthologie deutscher Fantasy-Stories, und um die Sache abzurunden: Sie war eine Art Pilot-Projekt für eine sechsbändige Fantasy-Serie namens SARDOR, die die Abenteuer eines deutschen Weltkrieg-I-Kampffliegers in der fernsten Zukunft der Erde behandelt. Nun werden Sie sich möglicherweise fragen, was mit dem Ziegler los ist. Fantasy? »Fluchtliteratur«? – Erwarten Sie bitte keine Antwort auf diese Frage. Sie ist noch schwieriger zu beantworten als die nach dem Sinn des Lebens, des Universums oder des Geldmangels. Fragen Sie lieber: Warum Fantasy? – Nun, warum nicht? Davon abgesehen, daß die Grenzen zwischen Science Fiction und der Fantasy ohnehin fließend sind und selbst manche Dystopien angesichts der Lage in vielen Teilen der Welt geradezu heimelig anmuten (was sind schon die Praktiken des Ministeriums der Liebe in »1984« im Vergleich zu den Folterkellern südamerikanischer Militärdiktaturen?) – wer sagt Ihnen denn, daß diese Welt unter der kirschroten Riesensonne nicht einmal Wirklichkeit werden wird, in zwei oder drei Milliarden Jahren? Und wenn diese Welt Wirklichkeit wird: Möchten Sie tatsächlich auf eine Erde fliehen, wo die Eisenmänner, die kosmischen Nachtmahre und die äonenalten Gehirne nur darauf warten, daß arglose Träumer wie Sie ihre Wege kreuzen? Schließlich gibt es noch schlimmere Schicksale als das eines Than Mayen …
     
    Sie hätten es nicht tun dürfen. Es war unmoralisch, grausam und abscheulich. Aber sie hatten es getan. Alle vier. Gemeinsam.
    Heimlich.
     

 
I
     
    Im Dunst der Morgennebel über den Felskämmen, im Kirschlicht des beginnenden Tages, den es nicht kümmerte, was und wen er da beschien, im kühlen Dämmerungswind quollen sie grau und graupelig aus der Finsternis ihrer Schädelhöhlen hervor. Jahrtausende hatten sie im Granit verbracht, grübelnd und brütend und mürrisch wartend, rastlos wachend über die Länder diesseits des Eisenrings, die spitzen Gipfel der Berge wie Spieße gegen den Himmel richtend, eine steinerne Wehr gegen den Tod, der schon einmal, in fast vergessenen Zeitaltern, aus der Kälte des Weltraums zur Erde herabgestiegen war. Doch nun beendeten sie ihre geduldige Wacht und tropften klebrig und käsig aus den Schrunden und Rissen ihres Schädelgesteins, wucherten die Steilwände und Abhänge, die Grate und Gletscher hinauf bis zum höchsten aller Gipfel, um dort wie grindiger Schmalz und schmelzender Knorpel träge ineinanderzufließen.
    Sie wußten genau, was sie taten, als sie gemeinsam die Tat planten.
    Sie ließen die erratischen Monolithe am Fuß der Kronberge knirschen und knarren und knisternd wispern, um das Gemurmel ihrer eigenen Stimmen zu übertönen. Sie ließen Lawinen wie Sturzbäche aus schwarzem Geröll zu Tal donnern, um sich hinter den Wogen aus Schutt und hinter der Gischt aus Staub vor den Augen neugieriger Beobachter zu

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