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Lichtjahreweit

Lichtjahreweit

Titel: Lichtjahreweit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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verstecken. Sie ließen Vulkane ausbrechen und Feuer spucken, um mit der hellen Glut der Lava die Finsternis ihrer Absichten zu maskieren. Und während sie dort oben im ätherischen Frost der Gipfel blasig gärten und gnatzig brodelten, hoch über den Wolken, tief unter den Sternen, die langsam in den blutigen Lichtfluten der aufgehenden Sonne ertranken, da schmiedeten sie ihren Plan. Es war ein Plan, wie ihn nur die qualligen, graupeligen Gehirne aus den Gewölben der Steinschädel ersinnen konnten.
    Es war ein Plan, der einem verschrobenen, verlogenen Denken entsprang, einer Art zu Denken, die mit dem Aufbruch der Schmerzarchen, mit der Flucht der Eisenmänner vor den gehörnten Eroberern aus der Kälte des Raums vom Antlitz der Erde verschwunden war und nur im Granit der Kronberge wie ein verborgenes Geschwür die Äonen überdauert hatte.
    Es war ein Plan, mit dem ein Verbrechen bestraft werden sollte, und es war ein Verbrechen, das niemand begangen hatte, das niemand begehen würde, das nicht einmal ein Verbrechen war.
    Doch dies spielte keine Rolle. Nicht für die Gehirne, für die heftig quellenden Ungeheuer, die im porösen Gewebe ihrer kranken Zellen, Zellen groß wie Schweinsköpfe, das Gesetz der Eisenmänner bewahrten und die darauf beharrten, daß es als Strafe für das Leben nur den Tod gab, daß die Liebe das grausigste aller Vergehen war, daß die Unschuld ins Verderben führte, und daß die Güte sofortige Sühne verlangte.
    Deshalb hatten sie es getan.
    Alle vier. Im stillen. Heimlich. Von einem Tag zum anderen.
    Und ihr Werkzeug war ein Mann wie Calhan gewesen. Und eine Frau wie Lyzis.
    Niemand kannte Calhan. Niemand kannte Lyzis. Niemand wollte sie kennenlernen. Am allerwenigsten die Gehirne. Aber in den Jahrtausenden, in denen Fäulnis das wuchernde Fleisch auf den Gipfeln der Kronberge zerfressen hatte, in all diesen ungezählten Menschenaltern hatte es immer Männer wie Calhan gegeben. Oder Frauen wie Lyzis. Sie waren namenlos, obwohl sie Namen hatten. Sie waren austauschbar, obwohl sie sich für einzigartig hielten. Sie waren nichts. Doch das genügte.
    Für Than Mayen war es bereits zuviel.
    Hatte Calhan nein gesagt?
    Hatten Männer wie Calhan jemals nein gesagt?
    Niemals.
    Im blasigen, sonnenbeschienen Zellgewebe der Gehirne gab es nicht eine einzige Erinnerung an ein derart ungeheuerliches Ereignis. Es war gegen das Gesetz und das Gesetz war das Gesetz der Eisenmänner und die Gehirne dienten dem Gesetz. Sie ließen sich nicht trennen. Beide bestanden seit Menschengedenken und beide waren ehern. Sie waren ehern; das war es. Deshalb war es ihnen gelungen. Das, was sie getan hatten und nicht hätten tun dürfen. Und weil sie einen Mann wie Calhan benutzt hatten, einen Mann, der nicht nein sagte. Nicht, wenn die Gehirne befahlen. Der Befehl war durch die Wälder und Wüsten der Erde gewandert, über Moore und Meere hinweg, auf Wegen, die nur den Gehirnen bekannt waren, auf Wegen, verborgen wie die Wege der dolorosen Schiffe, in denen selbst die Eisenmänner Schmerzen litten, obwohl sie keine Schmerzen kannten, und schließlich war der Befehl im Dom aus Stahl und Stein von Nyanderhen eingetroffen. In einem Land so klein und so bedeutungslos, daß allein die Gehirne von seiner Existenz wußten.
    In Nyanderhen wartete Calhan. Er wartete, ohne es zu ahnen. Er lebte im Dom aus Stahl und Stein, und obwohl er es nicht wußte, war er den Gehirnen näher als jeder andere Mensch. Er thronte hoch oben im Dom, unter einer Kuppel aus lebendem Gebein, und niemals, unter keinen Umständen, bei keiner Gelegenheit, verließ er seine Burg. In selbstauferlegter Einsamkeit thronte er über dem purpurroten und königsblauen Blumenmeer der Ebene von Nurmus Mu, die kein Mensch betreten durfte, wollte er nicht eingemauert werden in die knöcherne, lebende Kuppelwölbung, und beschirmt vom Geseufze und Gewisper der menschlichen Dachpfannen brütete Calhan tagein, tagaus über den Tod.
    Denn den Tod haßte Calhan noch mehr als die Menschen.
    Er haßte ihn, weil sie einander so ähnlich waren.
    Auch der Tod sagte niemals nein.
    Dann erhielt Calhan den Befehl.

 
II
     
    Calhan war alt und schlau und schlecht. Alt, aber nicht weise. Schlau, aber nicht klug. Schlecht und niemals gerecht. Er war so alt, daß seine runzlige Haut wie Pergament raschelte, wenn er sich bewegte. Es war ein schrecklicher Laut, weit schrecklicher als das düstere Gejammer der lebenden Kuppel, das weder am Tag, noch des Nachts verstummte. Calhans

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