Lichtjahreweit
Die Panther …«
Über der geschlossenen Fahrstuhltür leuchtete das E auf. Die Kabine hatte das Erdgeschoß erreicht. Und von der Treppe – aus der Tiefe der anderen Stockwerke – drangen leise Stimmen.
Sobrowsky ballte die Fäuste. Schweiß perlte über sein bleiches Gesicht. »Sie werden mich umbringen! Sie suchen mich. Sie wissen, daß ich Beweise habe. Beweise, hören Sie? Ich habe es herausgefunden! Zerrgiebel gehört zu den Führern der Panther. Glauben Sie, ich bin zufällig in dieses Viertel gezogen? Wir wußten, daß etwas im Gange war, und man hat mich geschickt, Beweise zu sammeln.«
»Jesus Christus!« Katrin ergriff Jaumanns Arm und zerrte ihn in die Wohnung. »Er ist ein Juniac, Philip, ein verdammter Juniac! Oder ein Sympathisant!« Sie umklammerte den Türknauf. »Hauen Sie ab! Verschwinden Sie endlich! Wir wollen mit euch Juniacs nichts zu tun haben!«
Sobrowsky blockierte die Tür. Sein schwitzendes Gesicht drehte sich zum Aufzug, zum Treppenabsatz. Die Kabine hatte sich in Bewegung gesetzt. Sie kam hoch, und die Stimmen aus dem Treppenschacht wurden lauter.
»Bitte«, wisperte er. »Sie müssen mir helfen. Sie sind keine Panther. Sie sind noch nicht einmal Senioren. Der Berliner Blutsonntag, der Anschlag auf das Cittax-Netz hier in Köln, die Anschläge in den anderen Städten … Es waren keine Juniacs, verstehen Sie? Es waren keine Jugendlichen, die die Anschläge verübt haben! Es waren die Panther, diese militanten Alten, die …«
»Er ist verrückt«, sagte Katrin. Sie zog an dem Knauf, aber Sobrowsky verhinderte, daß sie die Tür schließen konnte. »Philip, hilf mir!«
Jaumann blieb stehen. Er starrte Sobrowsky an. Die Panther? Die Panther waren für die Anschläge auf die Seniorenviertel verantwortlich?
»Es sind Provokationen, verstehen Sie?« Sobrowskys Stimme klang gehetzt. »Die Panther wollen die Spannungen zwischen den Generationen anheizen. Sie wollen die Seniorenpartei zwingen, schärfer gegen die Jungendlichen vorzugehen. Sie wollen den Juniacs die Schuld für die Anschläge in die Schuhe schieben und sich dann als die Hüter von Recht und Ordnung aufspielen. – Jaumann«, stieß Sobrowsky hervor, »sehen Sie denn nicht, was um Sie vorgeht? Die Panther bekommen immer mehr Zulauf. Die Senioren haben Angst, und die Panther schüren diese Angst, und schon jetzt schreien sie nach den Notstandsgesetzen …«
»Lassen Sie die Tür los!« schrie Katrin. »Philip, hilf mir, hilf mir doch!«
Jaumann sah Katrin an. Wenn die Panther tatsächlich hinter den Anschlägen steckten …
»Er ist ein Juniac«, sagte Katrin.
Jaumann war wie betäubt. Was sollte er tun? Was sollte er nur tun?
»Helfen Sie mir«, flehte Sobrowsky. »Sie sind doch noch jung. Sie gehören noch nicht zu den Senioren …«
»Fünfundvierzig«, sagte Jaumann. »Ich bin fünfundvierzig. In fünf Jahren werde ich Rentner.« Er sprach mechanisch. Fünf Jahre, dachte er. Was sind schon fünf Jahre?
»Sie hören es«, fauchte Katrin. »Wir sind zu alt. Wir haben mit Leuten wie Ihnen nichts zu tun. Leute wie Sie machen nur Schwierigkeiten. Gehen Sie endlich! Gehen Sie!«
Sobrowsky fuhr zurück. Einen Moment lang blickte Jaumann noch in seine aufgerissenen Augen, dann zog Katrin die Tür zu.
»Ein Juniac!« sagte Katrin. »Jesus Christus, ich wußte es!«
Draußen auf dem Korridor polterten Schritte. Dann Stimmen. Verzerrte Stimmen. Zerrgiebel? Gehörte eine davon dem alten Zerrgiebel? Jaumann lauschte. Mehrere Schreie. Dumpfe Laute, wie von Stöcken, die auf Fleisch und Knochen schlugen.
Jaumann wandte sich ab. Er ging ins Wohnzimmer, wo Katrin auf der Sesselkante saß, die Hände gefaltet, das Gesicht blaß, auf den Wangen rote Flecke.
»Sie haben ihn«, sagte Jaumann. »Ich glaube, Zerrgiebel war dabei.« Noch immer war er benommen. »Ob er recht hat?« fragte er. »Ob das stimmt, was Sobrowsky gesagt hat? Daß die Panther …«
Katrin blickte auf. »Er war ein Juniac. Ein verdammter Juniac.«
»Aber …« Jaumann gestikulierte hilflos. Er dachte an das Kind im Hof, an die Frau am Fenster. Er fühlte sich müde. Und alt.
Sehr alt.
Auf Achse
(in Zusammenarbeit mit Ronald M. Hahn)
Gelegentlich taucht die Frage auf, wie man Science-Fiction-Autor wird. Nun, in meinem Fall durch eine Taxifahrt von Remscheid nach Wuppertal, auf der ich Ronald M. Hahn kennenlernte, der damals – im Spätsommer des Jahres 1975 – als Agent, Autor, Anthologist und Übersetzer tätig war. Berauscht von seinen
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