Lichtraum: Roman (German Edition)
grundlegendsten Gesetze, welche die Natur beherrschen, direkt zu manipulieren.«
Ty schluckte wieder. Jetzt sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus; es war lange her, seit er sie auswendig gelernt hatte, doch er hatte nichts vergessen. »Es gibt gute Gründe zu glauben, dass wir nicht in dem ursprünglichen, dem Originaluniversum leben, sondern in einer Simulation, die womöglich nur eine von vielen ist. Auf das Wesentliche reduziert ist die Realität im Grunde nichts anderes als ein Ausdruck verschiedener mathematischer Formeln; und hat man erst einmal diese simple Wahrheit akzeptiert, leitet sich zwangsläufig daraus ab, dass unsere Welt ihre Existenz nur einem bewussten Schöpfungsakt verdankt.«
»Sie enttäuschen mich, Mr. Whitecloud.« Ty sah zu Kosac hinauf. »Ich weiß nicht viel über den Uchidanismus, aber ich habe meine ganz persönliche Vorstellung von Glauben. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir für alles, was in dieser Welt geschieht, in der nächsten bezahlen müssen.«
Bleys hatte sich ein wenig abgewandt und hob eine Hand an seine Schläfe. Zum ersten Mal bemerkte Ty, dass der Mann einen Kommunikationsknopf im Ohr trug.
Ty richtete den Blick wieder auf Kosac. »Wieso stellen Sie mir diese Fragen?«
»Weil ich vermutlich die letzte Person bin, mit der Sie sprechen werden, und ich wollte wissen, was für ein Typ Mensch solche Sachen macht, wie Sie sie verbrochen haben.«
Finger aus Eis umklammerten Tys Herz. »Mir wurde zugesagt,
dass ich eine ordentliche Gerichtsverhandlung bekomme. Man will mich aus dem Kernschiff wegbringen, damit ich unter Anklage gestellt werden kann.«
Kosac lächelte traurig. »In einer weniger unvollkommenen Welt hätte man Ihnen dies vielleicht sogar gewährt.«
»Sir?«, meldete sich Bleys, und Kosac wandte sich ihm zu. »Wir haben eine Nachricht erhalten, dass die Leute der Friedensbehörde hierher unterwegs sind. Ich denke, wir sollten uns beeilen.«
Die Eiseskälte breitete sich tief in Tys Eingeweiden aus. »Ich bin für Sie viel zu wertvoll, als dass Sie mich einfach erschießen könnten«, krächzte er.
»Oh nein, Mr. Whitecloud, eine zweite Chance zur Flucht werden wir Ihnen nicht gewähren.«
Ty starrte die beiden Männer abwechselnd an. »Flucht?«
Im nächsten Moment tauchten zwei Wächter an der Zellentür auf, bewaffnet und mit heruntergeklappten Helmvisieren. Und Ty begriff, dass ihm das Schlimmste noch bevorstand.
Die beiden Wächter betraten die Zelle und schleiften Ty nach draußen auf den Korridor, wo einer ihm einen Elektroschocker in die Kniekehle rammte. Er brach zusammen und landete auf Händen und Füßen. Ein zweiter Schlag schickt ihn flach auf den Boden.
Dann verdrehte man seine Arme schmerzhaft hinter den Rücken, und er spürte, wie die Kabelbinder um seine Handgelenke befestigt wurden. Jemand riss ihn in die Höhe und stieß ihn zu einem Service-Aufzug am hinteren Ende des Ganges. Die Beine gaben unter ihm nach, doch die Wächter packten ihn von beiden Seiten und zerrten ihn einfach mit.
Sie schubsten ihn in den Lift hinein, zwangen ihn niederzuknien, und als der Aufzug im Erdgeschoss hielt, schleiften sie ihn hinaus. Es gelang Ty, den Boden unter den Füßen wiederzufinden,
während man ihn zu einer Stahltür beförderte, vor der dieser Korridor endete. Durch die Ritzen der Tür drang ein dünner, aber eiskalter Luftzug, der den Geruch nach eingeöltem Metall und Fäulnis mit sich brachte. Einer der Wächter trat vor und öffnete die Tür, die aufschwang und den Blick auf einen Stapel Paletten freigab.
Ty biss auf die Zähne, als der eisige Luftschwall ihn traf, und versuchte sich zusammenzukrümmen; seine Papieruniform bot ihm so wenig Schutz vor der Kälte, dass er genauso gut hätte nackt sein können.
Er merkte, dass er weinte, während sie ihn auf den Hof hinauszerrten und stießen. Alles schien ein wenig weiter wegzurücken, als sähe er die Welt aus einer gewissen Entfernung, wie jemand, der sich auf eine Zuschauerrolle beschränken muss, anstatt selbst handelnd eingreifen zu können.
Sie schleiften ihn zu der Mauer, die den Hof am äußersten Ende begrenzte. Mittlerweile war er nahe genug herangekommen, um auf dem Boden vor der Mauer die dunklen Flecken auszumachen. Zum ersten Mal gewahrte er zu seiner Rechten eine in die Mauer eingelassene Tür; von seinem Zellenfenster aus hatte er sie nicht sehen können, weil aufeinandergetürmte Kisten den Blick versperrten. Die Tür stand offen, und draußen auf der
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