Lichtschwester - 8
hinunterliefen.
»Wie konntest du das nur tun? O Jarale, bitte, du bist doch mein Bruder. Wie konntest du dich darauf einlassen?« Da sie noch nicht volljährig war, hatte er die Verantwortung für sie, und er konnte nach dem Gesetz mit ihr tun, was ihm beliebte - aber auch sie zum Einsatz beim Glücksspiel machen?
Er stammelte nur etwas vor sich hin und starrte dann zu Boden. Da sah sie Marant lächeln, und sie wich jäh vor ihm zurück. Das kann doch nicht wahr sein, gleich werde ich aufwachen und feststellen, daß dies alles nur ein Traum war. Selbst in diesen schrecklichen Zeiten mit all ihren Scheußlichkeiten kann es doch nicht angehen, daß ich plötzlich diesem Monster zu eigen werde! »Komm, meine Liebe, du wirst bald merken, daß ich sehr umgänglich und großzügig bin. Ich bin ein reicher Mann und schenke dir allen Schmuck, den dein Herz begehren mag.« Er war entsetzlich. Schmierig, selbstzufrieden und arrogant. Sie hätte ihn am liebsten auf der Stelle in Stücke gerissen. Ja, der bloße Gedanke, ihm weh zu tun, tat ihr wohl.
»Aber, oh, bitte … Jarale, wie konntest du das bloß tun?« Nun stand sie mit dem Rücken zur Wand, wie ein gestelltes Reh, und ballte und öffnete nervös die Hände. Der erste Schock war vorbei, und sie fühlte sich einem Zornausbruch näher als den Tränen. Oh, ihr Zorn wuchs von Minute zu Minute. Sie hätte am liebsten alle beide umgebracht.
Und bevor sie sich von diesem Mann anfassen ließe, würde sie das auch machen: sie beide töten.
»Schwester! Karis, es tut mir so leid. Aber ich werde dich bald auslösen, das verspreche ich dir. Ich gelobe es! Ich werde bald zurückkommen. Vertraue mir, Karis.«
»Dir vertrauen, dir!« Nachdem er sie beim Würfeln eingesetzt und verspielt hatte, sollte sie ihm vertrauen?! »Aber, meine Liebe!« sagte Marant salbungsvoll. Ihr Zornausbruch schien sein schmieriges Lächeln immer breiter werden zu lassen. Vielleicht hätte ich so sanftmütig wie ein Schaf bleiben sollen, dachte sie, mich fügen sollen. Aber wer könnte sich in solch eine Ungeheuerlichkeit schon sanftmütig fügen? Wenn ich doch bloß an seinen Dolch herankäme…
Aber während sie noch erwog, alle beide anzugreifen, trat Marant schon auf sie zu und packte ihr Handgelenk. Er starrte ihr lange in die Augen, und bald fühlte sie sich von einer seltsamen Schwäche überkommen. Sie war benommen, wurde zunehmend willenlos, und es dämmerte ihr wie von fern, daß sie sich seinem Willen beugen und tun mußte, was er von ihr verlangte.
Sie konnte noch denken, wenn auch nicht klar. Aber … sie fühlte nichts mehr. Nur eine Taubheit, als ob ihr Körper jemand anderem gehöre.
»Hol deinen Umhang, mein Liebes, wir wollen aufbrechen.« Umhang. Sie nahm ihr Cape, und Marant half ihr, es umzulegen und zu schließen. Das holte sie halbwegs aus der Ferne zurück.
Seine Berührung war ihr widerlich: wo er sie am Arm streifte, bekam sie eine Gänsehaut - aber sie spürte einen Zwang, ihm zu gehorchen … Da begann sie zu ahnen, wie er Jarale gezwungen haben mußte, sie beim Spiel einzusetzen. Ja, er verfügte über hexerische Kräfte. Aber wie stark waren sie?
Als sie gingen, hörte sie Jarale wie aus meilenweiter Entfernung sagen: »Du wirst ihr doch nicht weh tun, ja? Du wirst sanft mit ihr umgehen?«
»Sie wird sich nicht beklagen, das versichere ich dir.« Sich nicht beklagen. Natürlich nicht, da er sich ihren Willen ja unterworfen hatte. Aber sie kannte den Ausdruck in seinen Augen, und der sagte ihr, daß Schmerzen ihrer harrten, viele Schmerzen.
Jetzt führte er sie durch die dunklen Straßen. Es war weit bis zu seinem Haus, und sie fragte sich in einem noch denkfälligen Winkel ihres Hirns, warum er des Würfelspiels wegen einen so weiten Weg auf sich genommen hatte. Sein Haus war groß und prachtvoll …
Ach ja, er hatte sich ja als reichen Mann gerühmt. Benommen sah sie ihm zu, wie er die Haustür hinter ihnen wieder mit Abwehrzaubern versah; aber sie begriff, daß er so Jarale hindern wollte, ihr zu Hilfe zu kommen und sie zu befreien. »Komm, meine Liebe.« Sie war noch seinem Willen unterworfen, und so folgte sie ihm gehorsam die Treppe hinan. Dicke, weiche Läufer dämpften ihre Schritte. Überall waren prächtige Möbel und andere Einrichtungsgegenstände zu sehen - er mußte wirklich steinreich sein. Aber warum hatte er dann diesen ganzen weiten Weg durch die Stadt machen müssen, um sich eine Bettgefährtin zu beschaffen?
Natürlich. Ein Teil des Puzzles
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