Lichtschwester - 8
junger Mann. Sag, wer bist du? Der Sohn eines reichen Adligen?«
»O kaum! Gute Frau, ich bin nur ein armer Student der Universität Berin-Lar. Das ist… war jetzt… meine Reisezeit.« »Ja und? Was ist schiefgelaufen?«
Ich wich ihrem durchdringenden Blick aus und starrte in den Krug in meiner Hand. Aber die Gesetze der Gastfreundschaft verlangten, daß ich ihr die Wahrheit sagte. »Ich … ich habe einen Menschen erschlagen.«
»Wirklich?« fragte sie. Aber das klang gar nicht sehr überrascht.
»Und wie kam das?«
Ja, wie eigentlich?! Ich hatte versucht, die Ländereien von Lord Ieran zu umgehen, da ich mir dachte, wenn auch nur die Hälfte der Geschichten, die man sich über diesen grausamen Fürsten erzählte, wahr sei, täte ich wohl besser daran, weder ihm noch einem seiner Männer über den Weg zu laufen. Aber … »Da war eine Jagdgesellschaft, die neben der Landstraße lagerte«, begann ich widerstrebend, »so mit prächtigen Zelten und Bannern. Aber unweit davon, im Dunkel des Waldrands, war einer von denen dabei, irgendein armes, kleines Bauermädchen … Und er lachte so! Ich … ich komme aus Tailan, wo man die Große Mutter verehrt und wo kein Mann jemals, jemals … Ich habe mich wie ein Narr auf ihn gestürzt. Er war ein geübter Soldat, und ich war unbewaffnet. Er schlug mich einfach zu Boden, ließ mich halb betäubt dort liegen, und fiel wieder über sie her … Ich hörte ihre Schreie, und dann … ich weiß nicht, was darauf geschah.« »Häh?«
»Es … war, als ob plötzlich der Wind überall um mich und in mir sei, der kalte, beißende, wütende Wind, und mir übermenschliche Kraft und Unverwundbarkeit gebe …« Ich verstummte jäh, denn der Gedanke daran ließ mich schaudern. Aber die alte Frau sah mich so unverwandt und drängend an, daß ich seufzend fortfuhr: »Als ich wieder zu mir kam, war diese Kraft von mir gewichen. Der Kerl lag tot zu meinen Füßen, und die Spitze meines Scholarenstabs war rot von Blut. Vor mir aber stand der Mann, dem ich aus dem Weg hatte gehen wollen: Eindeutig Lord Ieran, nach dem Wappen zu urteilen, das er trug! Ieran persönlich, mit vor Zorn funkelndem Blick. Ich hatte einen seiner Männer erschlagen, den Hauptmann seiner Garde. Und zur Strafe dafür sollte ich eines langsamen, langsamen Todes sterben.«
»Da bist du gerannt, armer Junge, gerannt und gerannt. Und diese Bluthunde immer hinter dir her … Sie lassen nicht von einem ab, diese Hunde, nicht, solange ihre Herren sie auf einen hetzen!«
»Woher kannst du das wissen …«
»Pscht! Ich weiß es eben. Aber nun ist für eine Weile Schluß mit dem Rennen.« »Nein! Sie werden …«
»Nicht so bald, nicht so bald. Ruh dich aus, junger Mann. Schlaf ein bißchen.«
Sie fuhr mir mit kühler, sanfter Hand übers Haar und sprach mit weicher Stimme besänftigend auf mich ein … der Wein wärmte mich und machte mich so schläfrig. Und ich? Ach, kein Mensch hält der Angst und Anspannung ewig stand! Wahnsinn, sagte ich mir, das ist doch heller Wahnsinn … Aber sosehr ich mich auch sträubte - die Müdigkeit überwältigte mich, und ich schlief ein.
Und im Schlafe sah ich … einen Mann, eine Frau, jung und schön, die mit derselben panischen Angst, die mich erfüllt hatte, um ihr Leben liefen. Und der Mann trug ihren kleinen Sohn im Arm … Da!
Da! Die Reiter holten auf, waren ihnen nun dicht auf den Fersen, trieben sie gegen eine Felswand, so daß ihnen kein Ausweg blieb, und lachten, trieben mit ihrem Entsetzen Spott, ihr Anführer … Ieran. Lord Ieran!
Da geschah das Schreckliche. Ich sah, wie jener gleich einem Wild gestellte Mann sich schützend vor Frau und Kind warf -aber, ach, vergeblich … Ich sah ihn sterben, einen grausigen, blutigen Tod, sah, wie sie der Mutter das schreiende Kind aus den Armen rissen, wie Lord Ieran seinem Schreien und Weinen mit einem Speerstoß ein Ende setzte. Ich sah die Frau … Nein, Ieran legte nicht Hand an sie, o nein! Aber grausamer als jeder Tod war, daß ihr nunmehr beschieden wurde, unversehrt bei ihren erschlagenen Lieben zurückzubleiben. Als die Schlächter mit rohem Gelächter über diesen Mordsspaß davonritten, da kniete sie sich gramgebeugt neben die Toten und breitete ihr langes Haar im Staub … und ich dachte voller Angst und Mitleid: Laß mich aufwachen! Oh, laß mich doch aufwachen! Da hob die Frau den Kopf, und ich sah ihr bleiches und vom Kummer gezeichnetes Gesicht. In ihren Augen, diesen schrecklichen Augen, sah ich jede
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