Lichtschwester
zitternden Händen an den bröckligen Felsen. Da mußte ich ihm einfach, obwohl er ein Monster war, die Hand hinstrecken. Aber die Alte stieß sie barsch zur Seite und sah mich mit einem flammenden Blick an, der nun wahrlich der eines Raubvogels war ... Halb betäubt sah ich zu, wie sie sich geschmeidig erhob und, klein, aber schrecklich, zur Kante trat, auf diesen Mann hinabblickte und seinen verzweifelten Kampf verfolgte - ohne Lust und Freude, aber auch ohne eine Spur von Mitleid, »Ieran!«
»Hilf mir, Frau!«
»Denk einmal nach, Ieran.«
»Bist du verrückt ? So hilf mir ...«
»Erinnere dich, Ieran. Erinnere dich an Tierel. Den jungen Tie-rel ... dessen einziges Verbrechen es war, nicht so kaltherzig wie du sein zu können. Er war nicht imstande, die zu ermorden, über die du insgeheim und ruchlos das Todesurteil verhängtest. Tierel und Sarai-ye, seine Frau. Tierel, Sarai-ye und ihr Sohn, ihr kleiner Junge.
Mann und Frau und Kind, eins in ihrer Liebe, eins in ihrer Freude.
Erinnerst du dich jetzt, Ieran?« »Du Wahnsinnige!«
»Ah ja, du erinnerst dich! Du hättest sie verschonen können. Sie waren keine Gefahr für dich, Tierel hatte dir sein Wort gegeben, deine Geheimnisse zu bewahren. Ja, du hättest es gut sein lassen können und ihr Glück achten. Aber Ieran hat ja kein Herz. Ieran kehrt nicht unverrichteterdinge von einer Hetzjagd zurück. Oh, du erinnerst dich an diese Hatz, an dieses scheußliche, schreckliche Schlachten. Du erinnerst dich gut.« »Verdammt sollst du sein, Frau, wer bist du?« »Der Tod, Lord Ieran. Dein Tod.«
Da hob sie den dünnen Arm, und der Wind kam. Sie wies auf Ieran, und der Wind fuhr herab und riß ihn von dem bröckligen Halt, und da sah ich für einen Moment seine ungläubig aufgerissenen Augen. Dann fiel er, und ich beobachtete aus den Augenwinkeln, wie die Frau seinen langen, tiefen Sturz mit ruhigem Blick verfolgte. Und in ihren Augen zeigte sich auch jetzt weder Gram noch Freude, nur ... Erleichterung. »Rache«, keuchte sie nach einer Weile. »Oh, wie süß!« Sie wurde sich meiner Gegenwart bewußt und sah mich an. Aber der Ausdruck ihrer geweiteten Augen ließ mich zusammenzucken, und ich stammelte: »Der Wind ... der Nebel ... Die waren dein Werk!« »Ja.«
»Dann ... oh, Große Mutter! Und dieser Wind, der mich erfaßte und mich den Kerl töten ließ? War der auch dein Werk? Ja?« »Ja.«
»Du ... du ... hast mich benutzt! Aber weshalb? Was habe ich dir denn getan?«
»Nichts, mein Junge.« Nun endlich lag eine Spur von Mitgefühl in ihrer Stimme. »Mir sind Grenzen gesetzt ... Wenn ich meinen Berg verlasse, verliere ich meine Macht über den Wind. Ierans Männer konnte ich von hier nicht anrühren, weil sie ein Herz so kalt und hart wie Eis haben. Aber dich ... Du bist jungen und offenen Sinns und empörst dich über jedes Unrecht. Verstehst du?
Ich benötigte jemanden, der meinen Feind aus seiner sicheren, warmen Ebene auf diesen Berg locken konnte, wo der Wind ihn zu erfassen vermochte. Hierher, wo ich seinen Fall mit eigenen Augen beobachten konnte.« »Wer bist du? Und was?«
»Dieser Traum ... denk an den Traum, den ich dir sandte.« »Ich verstehe das nicht. Du bist... Tierels Mutter?« »Nein, Junge, ich bin Tierels Frau.«
»Sarai-ye! Aber das ist unmöglich ... Sie hatte dunkle Augen ...«
»Der Wind hat sie mir ausgebleicht.« »Und sie war jung, so jung, und du bist doch so ...« Mir versagte die Stimme. Denn wie ich sie so anstarrte, vermeinte ich, in ihrem steinalten Gesicht einen Hauch von Jugend zu sehen, denselben Augenschnitt, denselben Wangenschwung ... »So alt?« schloß die Frau sanft an meiner Statt.
»Oh, Junge, die Macht hat ihren Preis. Und so gab ich Ai-Chan meine Jugend, gab ihm all die Jahre des Hätteseinkönnens . .. und sah zu, wie sie in Stücke gerissen und vom Wind verweht wurden.«
Da muß ich vor Entsetzen oder Mitleid leise gestöhnt haben, denn die alte Frau rief unwirsch aus: »Genug davon! Ierans Bluthunde werden nicht hier herauf finden. Du umgehst sie, wenn du auf dem Weg dort, an der Nordseite des Bergs, ins Tal hinabsteigst.« Dann fuhr sie mit milderer Stimme fort: »Hör mir gut zu! Du warst mein Werkzeug und bist daher genausowenig zu tadeln wie eine Axt oder ein Schwert. Denk daran, auf dir lastet keine Blutschuld. Gehe zu einem Priester oder einer Priesterin, so du es mußt, und entblöße deine Seele. Lebe dann aber
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