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Lichtschwester

Lichtschwester

Titel: Lichtschwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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Ieran!
      Da geschah das Schreckliche. Ich sah, wie jener gleich einem Wild gestellte Mann sich schützend vor Frau und Kind warf -aber, ach, vergeblich ... Ich sah ihn sterben, einen grausigen, blutigen Tod, sah, wie sie der Mutter das schreiende Kind aus den Armen rissen, wie Lord Ieran seinem Schreien und Weinen mit einem Speerstoß ein Ende setzte. Ich sah die Frau ... Nein, Ieran legte nicht Hand an sie, o nein! Aber grausamer als jeder Tod war, daß ihr nunmehr beschieden wurde, unversehrt bei ihren erschlagenen Lieben zurückzubleiben. Als die Schlächter mit rohem Gelächter über diesen Mordsspaß davonritten, da kniete sie sich gramgebeugt neben die Toten und breitete ihr langes Haar im Staub ... und ich dachte voller Angst und Mitleid: Laß mich aufwachen! Oh, laß mich doch aufwachen! Da hob die Frau den Kopf, und ich sah ihr bleiches und vom Kummer gezeichnetes Gesicht. In ihren Augen, diesen schrecklichen Augen, sah ich jede Liebe, Hoffnung und Barmherzigkeit sterben. Und sie erhob sich und stieg den Berg hinan, bis sie endlich den höchsten Gipfel erreichte. Aber die eisigen Winde, die sie dort umtosten, waren nicht kälter als der Blick in ihren Augen. Und sie trat an den Abgrund und rief mit einer Stimme so rein und scharf und hart wie Eis: »Ai-Chan! Ai-Chan! Ai-Chan!«
      So beschwor sie den Herrn der Winde, den Großen Einen ... und Ai-Chan kam. Da war ein blendend heller Lichtwirbel und ein Flüstern wie aus dem Mund des Windes selbst. »Was ist dein Begehr?«
      Kein Mitleid lag in dieser Stimme, keine menschliche Milde. Keine Milde aber auch in ihrer Antwort:
      »Rache ... Verleihe mir die Macht des Windes, Ai-Chan. Gewähre mir die Kraft zur Rache.«
      »Alles hat seinen Preis«, säuselte der Herr der Winde. »Und diese Macht hat einen hohen Preis. Bist du bereit, ihn zu zahlen?« »Ja!« rief sie laut. »Ja!« »Dann wisse, was ...«
      Aber da riß mich eine Kälte aus meinem Traum - die kalte Hand der Alten, die mich am Arm rüttelte.
      »Schnell, junger Mann! Diese Bluthunde werden gleich da sein.«
    Ich sprang keuchend auf, sah verstört um mich und versuchte, mir den Schlaf aus dem Kopf zu schütteln. Da spürte ich, wie sie ihre kalte Hand um die meine schloß.
      »Dort entlang, Junge! Dort hinauf! Komm, ich führe dich zu einem Versteck ...«
      Sie stürzte mit unheimlicher Behendigkeit in diese Bergwelt hinaus, die grau in grau vor Nebel war... Und ich stolperte hinter ihr drein, sah weder Weg noch Steg und wußte nur, daß wir immer höher und höher stiegen. »Das kann doch kein Fluchtweg sein . ..«  
      »Doch, doch! Beeil dich!«
      Der Nebel wurde immer dichter, kälter, feuchter und beklemmender. Als ich, hustend und um Atem ringend, meinen Schritt verlangsamen mußte, spürte ich, wie mir die Hand der alten Frau entglitt.
      »Warte!« rief ich. Ich sah sie nicht mehr - der graue Nebel hatte die graue Alte verschluckt. Aber ich hörte ihr rauhes Lachen und hörte sie rufen: »Komm, Junge! Komm doch!« Aber ich horchte, starr vor Angst, auf die schon so nahen, harten Schritte hinter mir. Ierans Männer? Nein, den Geräuschen nach war das nur einer - Ieran? 
      Natürlich, natürlich! Auch wenn sich seine ganze Truppe in dieser grauen Suppe verirrte, er würde mir an den Fersen bleiben, um sich seine Beute nur nicht entgehen zu lassen. Von seiner Unerbittlichkeit erneut in Panik versetzt, machte ich kehrt und floh ... und ich hörte ihn hinter mir keuchen, als ich, ohne jede Orientierung in den grauen Schwaden, wie im schlimmsten Alptraum über nebelfeuchte Felsen stolperte und schlidderte.
      »Du Narr!« keuchte er, und er keuchte mir nun schon fast ins Ohr. 
      »Gleich habe ich dich!«
      Aber trotz alledem: Er konnte mich ja nicht deutlich sehen - und ich sah mit einemmal keinen Boden mehr vor mir! Unter meinen Füßen war nur graue Leere, und ich fiel...
      Nicht tief. Denn eine kalte, starke Hand ergriff mich am Arm und riß mich grob zur Seite - eben als der keuchende Ieran, blind auf sein Gespür vertrauend, mit einem gewaltigen Satz dorthin sprang, wo ich kurz zuvor gewesen war. Ich hörte ihn entsetzt aufschreien und dachte noch: Was ...
    ... als plötzlich ein Fallwind den Nebel auseinanderjagte. Große Mutter! Wir kauerten ja am Rand eines Abgrunds, und die sicheren Gefilde lagen tief unter uns ...
      Ieran aber war mit seinem wilden und unbedachten Sprung über die Kante geraten. Dort hing er nun und klammerte sich mit

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