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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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auf eine Ecke, wo Boden und Wand zusammentrafen, damit ihr nicht schwindelig wurde, und wartete ab, indem sie ihre Herzschläge zählte.

    Eine Tür öffnete sich. Im einen Moment starrte sie noch auf eine leere Wand, im nächsten war jemand zu ihr hereingekommen. Aber als sie sich diesen Moment zu vergegenwärtigen versuchte, fehlte er einfach, so als sei ein Fehler aufgetreten und ihr optischer Input habe einen Sprung gemacht. Die neue Person im Raum war klein, schlank und dunkel. Nachdem Li so lang auf eine blendend weiße Fläche gestarrt hatte, brauchte sie ein paar Sekunden, bis sie diese Person erkennen konnte. Schließlich sah sie ein Paar schlaksige, fohlenhafte Beine, die aus gestreiften Shorts hervorlugten. Ein rot-schwarzes Fußballtrikot. Dunkles Haar. Olivfarbene Haut.
    »Cohen?«
    »Psst!«, flüsterte er.
    Er hatte nichts an den Füßen außer langen, gestreiften Socken mit dicken Schienbeinschonern, die über den Saum ragten; seine altmodischen Fußballschuhe hatte er an den Schnürriemen zusammengebunden und über die knochige Schulter geworfen. Er ging durch den Raum und blieb einige Male stehen, um sich Wandstellen anzuschauen, die für Lis Augen nichts Bemerkenswertes hatten. Er trat an eine Wand und setzte sich mit übergeschlagenen Beinen so hin, dass etwa ein Meter Platz zwischen ihm und der Decke blieb. »Nun, da wären wir«, sagte er.
    »Wir? Ich habe keine Ahnung, wer du bist, außer dass du wie Cohen aussiehst. Was nichts beweist.«
    Er grinste. »Die äußere Erscheinung muss nicht immer täuschen, meine Liebe. Nicht einmal meine.«
    »Beweise es.«
    »Wie?«
    »Erzähl mir etwas.«
    »Was denn zum Beispiel?«, sagte er und klang dabei genau wie der zehnjährige Junge, der er vom Äußeren her zu sein schien.

    »Etwas, das niemand sonst wissen kann.«
    Er schlang die Arme um die Beine, setzte das kleine, spitze Kinn auf die Knie und dachte nach. »Na gut«, sagte er. »Also, du bist zwei Zentimeter kleiner, als du es den Leuten gegenüber behauptest.«
    »Das könntest du aus meinen Transportdateien haben.«
    »Und du bist ein übler Morgenmuffel.«
    Sie schnaubte. »Aber sonst bin ich die gute Laune in Person?«
    »Gutes Argument«, sagte er und lachte.
    Er schielte sie eulenhaft an und rieb über frischen Schorf an seinem Knie. »Aber da gibt’s ja noch dein tiefstes, finsterstes, schrecklichstes Geheimnis.«
    Sie erstarrte. Sie versuchte zu lachen, brachte es aber nicht über sich. »Und welches?«
    »Dass ich dich liebe.«
    Sie blickte auf und stellte fest, dass er sie misstrauisch beäugte wie ein zurückgelassenes Gepäckstück, das jeden Moment explodieren könne. »Ach, du meine Güte«, sagte er nach einem kurzen peinlichen Schweigen. »Du musst nicht jedes Mal, wenn ich es dir sage, ein Gesicht ziehen, als würdest du am liebsten in den Erdboden versinken.«
    »Nicht übertreiben, Cohen.«
    »Das ist kein Übertreibung, glaub mir.« Er warf ihr unter dunklen Wimpern einen missmutigen Blick zu. »Und es ist auch nicht lächerlich. Mein Gott, du bist keine Jungfrau, die beim Anblick eines Mannes in Ohnmacht fällt.«
    »Du willst also bloß mit mir schlafen? Du hast deine Ansprüche gesenkt. Beim letzten Mal sollte ich noch Ehefrau Nummer sieben werden. Oder war’s Nummer acht? Mein Güte, Cohen, du schaffst dir Ehefrauen an wie andere Leute Haustiere!«
    »Normale Menschen, meinst du.« Er sah ihr tief in die Augen und wirkte dabei nackt und wehrlos. »Darum geht’s
dir also, was? Du willst anerkannt werden. Du willst mit Brief, Siegel und Unterschrift bestätigt bekommen, dass du ein Mensch bist.« Er lachte bitter. »Ich würde dir gern in den Kopf schauen und wissen, was du denkst, wenn du dich morgens im Spiegel betrachtest.«
    »Du hast mich falsch verstanden, Cohen.«
    »Ja? Wovor hast du dann solche Angst?«
    »Vor nichts«, schnauzte sie. »Ich habe nur keine Lust, die nächste Sehenswürdigkeit auf deiner Besichtigungstour durch die menschliche Psyche zu sein.«
    Er sah weg und brummte etwas, das sie nicht ganz verstand.
    »Was hast du gesagt?«
    »Ich sagte, das war außerordentlich boshaft, selbst für deine Verhältnisse.«
    Der Raum kam ihr plötzlich zu klein, zu heiß vor. Li wandte sich ab und nahm die Wände in Augenschein, suchte nach einer Ritze.
    »Hör mal«, sagte sie nach einer langen, unbehaglichen Pause. »Ich wollte damit nicht sagen, dass …«
    »Lass gut sein. Es war dumm von mir.«
    »Also, wer ist dieses Kind?«, fragte Li, als das Schweigen

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