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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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und die blendende Helligkeit so bedrückend geworden waren, dass sie es nicht mehr ertragen konnte.
    »Ach.« Cohen knotete die Schnürsenkel seiner Sportschuhe auf und zog sie über die Socken. »Ich dachte, das wüsstest du. Das ist Hyacinthe.«
    »Ich dachte, du bist Hyacinthe.«
    »Er ist mein erstes, elementares Interface. Und natürlich der Mann, der mich erfunden hat.«
    Li musste lachen. »Als Zehnjähriger?«
    »Zu diesem Zeitpunkt war er bereits vierzehn. Das hier basiert auf einer alten Videoaufnahme, die er zur Entwicklung des ursprünglichen VR-Interfaces benutzte. Man
könnte sagen, es war mein erstes Interface überhaupt. Ich greife gelegentlich darauf zurück, wenn ich die Grenzen meiner Rechenleistung erreiche. So wie es im Moment leider der Fall ist.«
    »Können wir hier nicht raus?« Li schritt noch einmal die Wände ab.
    »Nein. Und setz dich endlich, bevor du mich in den Wahnsinn treibst. Dir kann nichts passieren, solang ich hier bin.«
    Aber in genau dem Moment, als er dies sagte, war er wieder verschwunden – so als ob jemand ein gemeines Spiel mit ihnen trieb.
     
    Li war wieder an jenem dunklen Ort.
    Diesmal wusste sie, dass sie sich unter der Erde, im Bergwerk befand. Aber das war schon alles, was sie wusste. Wasser tropfte von einer Decke und sammelte sich in einer Pfütze, die sie nicht sehen konnte. Ein kühler, feuchter Luftzug wehte von einem unterirdischen Fluss herüber, der zu weit entfernt war, als dass sie ihn hören konnte.
    Sie schaltete auf Infrarot um. Zwecklos. Sie war in den Spinstrom eingeloggt, sah nur, was die Person, die die Simulation kontrollierte, sie sehen lassen wollte.
    »Mach eine Lampe an«, flüsterte Cohens Stimme nah an ihrem linken Ohr.
    Ihre Hand wusste, wohin sie greifen musste, um die Lampe zu finden, hob sie hoch. Aber ihre Finger fummelten an dem Docht herum, als sei ihnen diese vertraute Handlung plötzlich fremd geworden. Als sie die Flamme regulierte, strich sie mit der Innenseite ihrer Hand an der heißen Trommel des Öltanks entlang und hörte das Zischen von verbrannter Haut.
    »Mist!«, sagte sie, hob instinktiv die Hand an den Mund und saugte an der sichelförmigen Brandblase.

    »Psst«, sagte Cohen. »Dir ist nichts passiert. Sag mir, was du siehst.«
    Sie hielt die Lampe hoch und sah einen unebenen Boden aus behauenem Fels, der sich in alle Richtungen erstreckte. Über ihr wölbte sich eine Decke, durchzogen von gewellten Kristalladern, die sich in einem unendlich wiederholten, fraktalen Spinnennetz von einem Bose-Einstein-Knoten zum anderen spannten.
    »Ich bin hier in der Kristalldruse«, sagte sie. »Sharifis Kristalldruse.«
    Aber es war die intakte Kristalldruse, ohne Brandspuren und Überschwemmung und voll leise summender und klickender Instrumente. Die Kristalldruse vor dem Feuer. In einer Ecke summte ein Generator. Glasfaserkabel schlängelten sich über den Boden zwischen Anhäufungen diagnostischer Geräte. Aus dem Boden und der Decke ragten schiefe Kristallzacken.
    Die Mäuler der Erde, dachte Li. Hatte Compson sie nicht so genannt?
    »Hat dich hier der Entführer erwischt?«, fragte Cohen.
    Sie hob die Lampe und drehte sich langsam. Zu ihrer Linken befand sich ein steiler Anstieg, der der Kristallader folgte, ein Überrest der ausgebeuteten Kammer eine Ebene höher. Zu ihrer Rechten führte eine transportable Virustahlleiter in die Kammer und den Stollen über ihr und zur langen, glitschigen Treppe, die aus dem Trinidad hinausführte.
    »War’s hier?«, flüsterte Cohen – und sie merkte jetzt erst, dass das Flüstern nicht hinter ihr sondern in ihr war. »Ist es deine Erinnerung oder gehört sie jemand anderem?«
    »Jemand anderem.«
    »Wem? Denk nach.«
    Ihre Hand bewegte sich widerwillig, als ob sie Instruktionen über einen gestörten Kanal durchgab. Sie sah ihre
Hand mit zusammengekniffenen Augen an. Es war wirklich ihre Hand. Kurze Nägel. Kräftige, braune Finger mit breiten Kuppen. Trotzdem: Etwas stimmte nicht mit ihr. Sie drehte sie um und betrachtete die Handfläche.
    Keine Verkabelung.
    Sie betrachtete ihre Hand noch einmal genauer. Die Nägel waren länger als die ihren und besser gepflegt. Sie entdeckte alte Narben, die nicht mehr vorhanden waren, und neue, die nicht vorhanden sein sollten. Und die frische Verbrennung, eine schmale Sichel aus hervorstehendem Narbengewebe zwischen Daumen und Zeigefinger.
    »Das ist Sharifi«, sagte sie. »Es sind Sharifis Erinnerungen. «
    Dann drehte Sharifi sich um, als sie

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