Lichtspur
20.10.48.
W as für ein Drecksloch!«, sagte Cohen und sah sich schockiert in Lis Quartier um.
Sein heutiges Gesicht war das einer etwa dreißigjährigen italienischen Schauspielerin, die gerade ihre ersten Rollen in diesen cleveren, von unabhängigen Studios produzierten interaktiven Filmen gespielt hatte, für die er Li immer zu begeistern versuchte. Sie war eine so außerordentliche, exotische Schönheit, dass Li in ihrer Nähe nicht anders konnte, als sich wie ein unbeholfener Tölpel zu fühlen – selbst wenn sie nicht in Lis enger Unterkunft gestanden wäre und hier wie ein Diamant in einem Schlammloch gefunkelt hätte.
Allerdings hatte das Funkeln nur teilweise etwas mit dem Interface oder Cohen zu tun. Der Rest hing mit der Paketkompression zusammen, die für die Verschlüsselungsprotokolle benötigt wurde, auf die Cohen für diesen Abstecher aus dem Stromraum in den Realraum bestanden hatte. Das Verfahren ließ ihn heller, konturierter und etwas schärfer als alles andere in dem kleinen Raum erscheinen. Und Li wagte gar nicht daran zu denken, wie viel Geld er für die privat genutzten Verschränkungsbanken verpulverte.
Er öffnete den Schrank, wühlte in den Ersatzuniformen, die darin hingen, und rümpfte dramatisch die Nase. »Du willst mir doch nicht sagen, dass du wirklich hier lebst?«
»Nein«, sagte Li, die auf der Suche nach Daahls Produktionsdaten durch einen Stapel von E-Papieren auf ihrem Schreibtisch kramte. »Dies ist der nächste heiße Urlaubstip. Ich sorge nur dafür, dass die freie Welt hier sicher verkehren kann.«
Er ging durch die Kabine und legte Chiaras zauberhaften Kopf schräg, als hege er die vage Hoffnung, dass der Raum aus einem anderen Blickwinkel besser aussehen würde. Er wandte sich ihr zu und runzelte in aufrichtiger Bestürzung die Stirn. »Ehrlich, Catherine. Ich glaube, dass die Friedenstruppen deine Dienste nicht richtig zu schätzen wissen.«
»Sie schätzen mich genug, um regelmäßig Gehaltsschecks zu schicken. In der realen Welt, in der du dich nicht sehr oft aufhältst, kann man nicht mehr erwarten.«
Sie fand Daahls E-Papier und reichte es Cohen. Sie spürte überdeutlich die schlanken, wohlgeformten Finger, die ihre berührten.
»Faszinierend«, sagte er, noch bevor sie ihre Hand wieder zurückgezogen hatte. »Irgendeine brillante Theorie, wer hier die Gefälligkeiten verteilt?«
Li verschränkte die Arme über der Brust und schüttelte den Kopf. »Wie zum Teufel machst du das? Daran werde ich mich nie gewöhnen.«
»Hmm. Reine Rechenpower. Und außerdem bin ich achtmal intelligenter, als es jemand mit einem so reizvollen Äußeren eigentlich sein dürfte.«
Li grinste.
Er streckte die Zunge aus, streifte die Schuhe ab und ließ sich geschmeidig auf ihre Schlafkoje sinken. »Also. Wo warst du?«
Sie schnappte sich den Schreibtischstuhl, drehte ihn um und nahm rücklings Platz. Sie fasste ihr Treffen mit Daahl und Ramirez zusammen, berichtete Cohen vom Informationsaustausch und der geplanten Blockade, ließ aber den persönlichen Teil des Gesprächs aus.
»Und dieser Dahl ist aus heiterem Himmel auf dich zugekommen? «, fragte Cohen, als sie fertig war. »Er meinte, dass du ein nettes, freundliches Mädchen bist? Verzeih mir, aber ich bin ein bisschen misstrauisch, was ihn angeht.«
Li zuckte die Achseln und gab sich gleichgültig. »Darüber haben wir nicht geredet.«
Cohen hatte sich auf dem Bett ausgestreckt, während sie sprach – sicher mit Absicht, oder? –, und jetzt räkelte er sich, seufzte wohlig, und Chiaras glänzende Locken breiteten sich auf Lis Kissen aus. Er hob die Lider, sah sie mit großen Augen und geheuchelter Treuherzigkeit an und sagte: »Natürlich nicht. Wie auch immer, damit beschäftigen wir uns später noch einmal. Hast du die Unfallberichte gefunden, die er braucht?«
»Ich hab’s versucht. Bisher hatte ich noch keine Zeit, um richtig danach zu suchen.«
»Zeit ist mein zweiter Vorname«, sagte Cohen mit einer übertrieben generösen Geste, die Chiara wahrscheinlich nie im Leben benutzt hätte. »Wie lautet dein Passwort?«
Li nannte es ihm, er loggte sich ein und besorgte in weniger als einer Minute die fehlenden Unfallberichte.
»Wo hast du sie gefunden?«, fragte Li.
Er hob eine Augenbraue. »In Voyts Dateien. Bis vor ein paar Tagen waren sie noch darin gespeichert. Zehn Stunden, bevor du in der Station eingetroffen bist, hat jemand sie gelöscht.«
»Wer?«
»Psst. Daran arbeite ich gerade. Beschäftige
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