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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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dösig und versuchte sich zu erinnern, ob sie noch genug am Leib gehabt hatte, als sie zu Bett gegangen war, um ohne weiteres die Tür zu öffnen. Die geflüsterte Antwort reichte aus, dass sie schlagartig hellwach wurde und in zwei Sätzen an der Tür war.
    Bella fiel ihr regelrecht in die Arme, als sich mit einem Zischen die Tür öffnete. Li stützte sie auf dem Weg zum Bett. Bella klammerte sich an sie wie eine Ertrinkende, während Li ihr Haar aus dem Gesicht strich und eine neue Schramme über der verblassten, elfenbeinfarbenen Schramme vom letzten Mal enthüllte.
    Lis erster Gedanke war, dass Haas sie geschlagen hatte. Dann sammelte sie sich. Hatte Bella ihn je offen angeklagt? Hatte sie bisher etwas anderes von sich gegeben als Andeutungen und Hinweise? Haas war seit Tagen nicht mehr auf der Station gewesen, hatte sich erst in Helena aufgehalten, dann den Rettungseinsatz auf der Planetenoberfläche überwacht. Bedeutet das vielleicht, dass er zurück war? Oder hatte es jemand anderes getan? Und was wusste sie denn eigentlich über Bella?
    »Haas weiß nicht, dass ich hier bin«, sagte Bella zitternd. »Er … er ist eingeschlafen.«
    »Gehen wir zum Sicherheitsdienst, Bella. Du kannst einen Bericht abgeben.«
    »Nein«, flüsterte Bella. »Du wirst früher oder später wieder gehen. Dann wird mich niemand mehr beschützen.«
    Li starrte sie an. Sie wusste, dass Bella recht hatte, und hasste sich selbst dafür, dass sie nichts daran ändern konnte.
    Bella zuckte vor Schreck zusammen und entwand sich Lis Umarmung.

    »Wo hast du das her?«, fragte sie und hob Sharifis Xenograph -Exemplar auf, das Li hatte fallen lassen, als sie eingeschlafen war. »Es gehört Hannah.«
    »Ich hab’s aus ihrer Kabine.«
    Bella sah sie an, und wieder überflog ein berechnender Zug ihr Gesicht. »Lies mir vor«, sagte sie. »So wie Hannah.«
    Li zögerte.
    »Bitte. Ich muss einfach deine Stimme hören.«
    Li blätterte mit dem Daumen durch das Buch und fragte sich, welche Passage Hannah für Bella vorgelesen hätte. Was sie zu Li und Bella gesagt hätte. Sie erinnerte sich an ihre heimlichen Gewohnheiten, die sie in ihrer Kindheit entwickelt hatte, als sie Bücher aus der Bibliothek las: dass sie die Buchrücken zerknittert hatte, damit die nächste Person, die ein Buch in die Hände bekam, ihre Lieblingsstellen nicht mehr finden, ihr auch nicht über die Schulter sehen und ihre Reaktionen beim Lesen mit einer bestimmten Stelle in Verbindung bringen konnte. War Sharifi genauso wie sie gewesen, eine verschlossene, verstohlene, schuldbewusste Hüterin von Geheimnissen? Li bezweifelte es; die Sharifi, die sie erlebt hatte, die Sharifi, über die Bella, Sharpe und Cohen redeten, hatte keinen Grund gehabt, etwas zu verbergen.
    Sie hielt das Buch hoch und ließ es auffallen. Wie der Zufall es wollte, sah sie eine Randnotiz in Sharifis akkurater Handschrift. Sie las die Abschnitte vor, die Sharifi unterstrichen hatte:
    Ich sitze in unserem Feldlager, während ich diese Worte schreibe. Hinter mir erheben sich die Achttausender des Johannesburg-Massivs, die alle immer noch unbestiegen sind. Zu meiner Linken liegt das Salzbett des vorzeitlichen Ozeans, an dessen Ufer ich zwei Jahre entlanggegangen bin. Zu meiner Rechten erstreckt sich das Hochland,
das Cartwright und Dashir kartiert haben. Alles unberührt, fremd, so vollkommen wie an dem Tag, als wir es das erste Mal sahen.
    Aber auf meinem Weg zum Lager bin ich an der Terraforminganlage vorbeigekommen. Ich habe Algenbetten und die zerfurchten Felder der Bauern gesehen. Und während ich dies schreibe, liegt eine Weizenähre auf dem Blatt. Ich habe sie am Wegrand gepflückt. Leben in einem Grashalm.
    Leben für einen anderen Planeten. Leben, das für diesen Planeten den Tod bedeutet – und die langsame, verhängnisvolle Verwesung, die der Karte unserer besten Absichten folgt.
    Wir waren Kartografen. Mönche und Anbeter. Wir kamen in dieses Land wie Heilige in die Wüste. Wir kamen, um verändert zu werden.
    Aber nichts verändert sich. Alles, was der Mensch berührt, verändert sich.
    Und an den Rand hatte Sharifi einige Worte gekritzelt – Worte, die Li nicht für Bella vorlas:
    Aber ihr habt für sie trotzdem die Karten gezeichnet, nicht wahr?
    Li hob den Blick von der Seite und stellte fest, dass Bella sie anstarrte. Sie schlug das Buch zu und wollte etwas sagen. Bella legte ihr einen Finger auf die Lippen.
    »Psst«, murmelte sie, lehnte sich an Li und senkte den Kopf, sodass ihr

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