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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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Daahl an, dann wieder die Frau und zögerte. Sollte sie diese Frau kennen? Sie schüttelte den Kopf und wandte sich wieder Daahl zu.
    »Bitte«, sagte er. »Wir haben hier keine Geheimnisse.«
    »Keine Geheimnisse?«, schnaubte Li. »Sie machen wohl Witze. Ich kann keinen Schritt machen, ohne über ein Geheimnis zu stolpern.«
    »Nur weil es Sie nichts angeht, heißt das nicht, dass es ein Geheimnis ist.«
    »Mich nichts angeht? Dort unten sterben Menschen.«
    »Seit Sie von hier fort sind, sterben dort unten jeden Tag Menschen«, sagte er, und seine Stimme klang so hart wie eine Schlafpritsche in Shantytown. »Bisher hat es Sie doch auch nicht gekümmert.«
    »Was soll das heißen?«
    »Sie können nicht in zwei Armeen zugleich kämpfen, Li.«
    »Ich …«
    »Ich mache Ihnen keine Vorwürfe. Mein Gott, ich bin stolz darauf, was Sie erreicht haben. Aber in ein paar Tagen werden hier UN-Truppen abgesetzt. Und sie haben es auf uns abgesehen. Also erwarten Sie nicht, dass ich Ihnen vertraue, nur weil ich das kleine Mädchen kannte, das Sie einmal gewesen sind. Dieses Mädchen ist tot. Sie haben es an dem Tag umgebracht, als sie Ihren Dienst angetreten haben.«
    Das verschlug ihr die Sprache. Sie schaute die namenlose Frau an und sah eisblaue Augen, die sie anstarrten.
Sie schaute Daahl wieder an und sah die gleichen blassen Augen, den gleichen kalten, misstrauischen Ausdruck. Er verachtet dich, dachte sie. Die Worte perlten an die Oberfläche ihres Bewusstseins, und sie konnte sie nicht unterdrücken. Er verachtet dich, und er hat einen guten Grund dafür. Wann bist du eine solche Heuchlerin geworden?
    Sie verdrängte den Gedanken energisch. »Sie hören sich an, als redeten Sie von einem Krieg«, sagte sie.
    »Es ist ein Krieg. Und Sie haben vor fünfzehn Jahren entschieden, auf welcher Seite Sie stehen.«
    Sie sah durch das Fenster zur Landeplattform hinüber und sah eine Gruppe von Wachleuten, die sich um die Plattform verteilten.
    Nein. Keine Gruppe. Ein Spalier. Hinter dem Spalier standen die weißen und orangefarbenen Overalls der Konzerntechniker, das Blau der Grubenverwaltung. Auf dieser Seite des Spaliers stand eine wogende Menschenmenge aus Bergleuten und Shantytown-Bewohnern.
    Sie standen mit hängenden Köpfen, gesenkten Schultern da, beachteten die Konzernleute nicht sonderlich. Ein leises Murmeln stieg aus ihren Mündern empor, ein so unterschwelliges, bedrohliches Geräusch wie ein Wespennest, in das versehentlich jemand hineingetreten ist.
    Li kannte dieses Geräusch. Es war das Geräusch eines Mobs, der bereit zur Gewalt war. Der Streik hatte begonnen.
    »Gehen Sie!«, sagte Daahl.
    Als sie fortging, spürte sie die Blicke der beiden im Rücken, als könnten sie durch Haut und Keramstahl direkt ins Herz des Feiglings dringen, der sie geworden war.
     
    Sie musste an Bord des Shuttles geschlafen haben. Sie erinnerte sich nicht mehr an den Rückflug zur Station.

    Als der Shuttle schließlich angedockt hatte, taumelte sie in ihr Quartier, ignorierte die vermüllten Korridore, das Rettungspersonal, das aus allen anderen Bergbaustationen innerhalb des Systems herbeiströmte. Sie konnte kaum geradeaus sehen, und ihre Augen und ihr Hals fühlten sich an, als seien sie geschält worden.
    Sie drückte ihre Hand ans Türsiegel und schwankte, während ihr Implantat gelesen wurde. Sie war schon eingetreten, bevor ein Stich von Beunruhigung sie warnte, dass hier etwas nicht stimmte.
    Bevor sie reagieren konnte – bevor sie auch nur die leiseste Ahnung hatte, was dieses Gefühl ausgelöst haben konnte –, drückte ihr jemand die Hand auf den Mund.
    »Lass die Hexe in Ruhe«, flüsterte ihr eine Männerstimme ins Ohr, »und stell keine Fragen, wenn du die die Antwort nicht hören willst.«
    Sie scannte ihn, um festzustellen, ob ihr Angreifer eine Waffe hatte, und fand keine. Das war die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht war, dass er über die Art von Abschirmung gegen Scanner verfügte, die nur durch eine Verkabelung zu erklären war.
    Er wirbelte sie herum und schlug ihren Kopf so hart gegen die Wand, dass ihr die Augen tränten.
    »Auch auf der Station können sich Unfälle ereignen«, flüsterte er, »nicht bloß unter Tage.«
    Dann war er verschwunden – und im letzten Moment erkannte Li, dass der Geruch, der ihr in die Nase drang, Kintz’ billiges Rasierwasser war.

ABG-Station: 25.10.48.
    E s war weit nach zwei Uhr morgens Stationszeit, als jemand an ihre Tür klopfte.
    »Wer ist da?«, fragte Li

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