Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
Vom Netzwerk:
Haar über Lis Mund strich und ihre Nase kitzelte.
    »Wie kann ich dir helfen, Bella? Sag’s mir. Was kann ich tun?«
    »Halt mich einfach fest.«
    Also schloss Li sie in die Arme. Wie sie roch und sich anfühlte, ließ Lis Puls rasen, und ihr Magen krampfte sich
vor Scham zusammen, weil sie ihr Begehren nicht unterdrücken konnte.
    Sie saßen derart lang so da, dass Li schon annahm, Bella sei eingeschlafen, als sie endlich wieder etwas sagte.
    »Wie stark bist du?«, fragte Bella.
    Li runzelte überrascht die Stirn. »Sehr stark.«
    »Stärker als ein Mann?« Eine warme Hand glitt unter Lis T-Shirt, streichelte ihre Seiten und ihren Bauch.
    »Viel stärker«, sagte Li.
    Die forschende Hand hielt inne. Bella blickte angespannt zu ihr auf. »Hast du schon einmal jemanden getötet?«
    Li zuckte zusammen. Sie musste ausgerechnet an Korchow denken, rechnete fast mit einem Scherz oder einem Vorwurf. »Natürlich«, flüsterte sie.
    »Wie ist das?«
    »Nicht schön.«
    »Hast du jemals Schuldgefühle deswegen?«
    »Manchmal.« Sie sah Gileads strahlenden Sonnenaufgang vor sich, die schneebedeckten Berge, die auf sie zurasten, in dem Bruchteil einer Sekunde, bevor sich ihr Ersatzfallschirm öffnete. »Bei einigen schon.«
    »Aber dann springst du zu einem neuen Stern, auf einen neuen Planeten, und du hast alles vergessen. Es ist ein Segen, wenn man einen Ort für immer hinter sich lassen kann. Wenn man den Menschen vergessen kann, der man dort geworden ist. Es gibt Menschen, die würden alles dafür geben.«
    »So funktioniert das nicht«, protestierte Li, aber Bella hörte schon nicht mehr zu.
    »Küss mich«, sagte sie.
    Li schluckte.
    »Willst du nicht?«
    »Hör zu«, begann Li – aber was immer sie sagen wollte, blieb ihr im Hals stecken, als Bella mit den Fingerspitzen ihre Brustwarze umkreiste.

    »Für mich sieht es so aus, als ob du willst«, flüstere Bella ihr ins Ohr. Ein Flüstern, das für sich schon eine Liebkosung war.
    »Vielleicht täuscht der Eindruck«, sagte Li mit dem letzten Funken Vernunft in ihrem Kopf. Aber es waren nur Worte, und Bella wusste es genauso gut wie sie.
    Statt zu antworten, ließ sich Bella vor Li auf die Knie fallen und küsste ihren Bauch, ihre Taille, eine Hüfte.
    Das Buch fiel auf den Boden und blieb unbeachtet liegen. Ich kann sofort aufhören, dachte Li, als sie Bella an sich zog. Wenn ich will. Ich kann jederzeit aufhören, wenn ich will.
    Dann presste sie die Lippen auf Bellas blasses Gesicht, vergrub die Hände in der dunklen Flut ihres Haars und fand die Lippen, die ihre suchten.
     
    Hinterher weinte Bella und redete über Sharifi.
    Li fragte sich, was sie anderes erwartet hatte, als Bella auf ihrer Schwelle erschienen war. Was hätte Bella sonst in ihr sehen sollen außer einem Echo der anderen Frau? Weder die Fragen noch die allzu offensichtlichen Antworten hoben ihre Stimmung im Mindesten.
    »Hannah war selbst ein Genkonstrukt«, sagte Bella. »Nicht teilweise, so wie du. Sondern ein vollständiges Konstrukt.«
    Li nickte und fragte sich, ob Bella genug über die UN-Politik wusste, um diesen Unterschied in seiner ganzen Tragweite zu begreifen. Ob sie wusste, was eine Zwangsregistrierung bedeutete und welche Konsequenzen der rote Schrägstrich auf Sharifis Pass hatte.
    »Sie war die erste Person, die mit mir geredet hat, die verstand, wie es für mich ist, hier ganz allein zu sein. Niemanden zu haben. Sie hat das alles selbst durchgemacht, um ihr Ziel zu erreichen. Sie hat ihre Schwestern, ihre
Freunde, ihre Welt aufgegeben. Alles. Du kannst dir nicht vorstellen, wie schwer das ist.«
    Li sagte nichts, lag einfach neben ihr und streichelte ihr Haar, versuchte das Gefühl tiefer Scham zu überwinden. Während sie Bellas Erinnerungen an Sharifi zuhörte, wurde ihr klar, dass sie sich die ganze Zeit etwas vorgemacht hatte. Alles, woran Bella sich erinnerte, waren die kleinen, alltäglichen Dinge, an die sich Geliebte immer erinnern. Und nichts davon war jetzt wichtig. Nicht für Nguyen oder Korchow. Auch nicht für Li selbst. Bella war die Einzige unter ihnen, für die Sharifi noch am Leben war – vielleicht die Einzige, für die Sharifi je gelebt hatte. Und im unpassendsten Moment dachte Li an Cohen und fühlte sich noch mieser.
    »Das Schlimmste ist, dass ich nichts weiß«, sagte Bella mit einer Stimme, die immer noch verweint klang. »Wenn ich nur wüsste, was mit ihr geschehen ist. Wenn ich wüsste warum. Dass es eine politische Sache war. Oder dass es um Geld ging.

Weitere Kostenlose Bücher