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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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aus dem Fleisch in die Maschine, so unaufhaltsam wie Sand, der durch eine Sanduhr rieselte. Und Li, die nun wieder mit ihrem Orakel in Verbindung stand und den Festspeicher wieder voll zur Verfügung hatte, konnte sich daran erinnern, dass sie in den vierzehn Jahren, zwei Monaten und sechs Tagen seit ihrer Rekrutierung insgesamt siebenunddreißig Einstein-Bose-Sprünge durchgeführt hatte.
    Sie tastete nach dem Tankdeckel, fand ihn wie immer an ihrer rechten Hüfte und drückte den Deckel auf. Die Hydraulik hob ihn mit einem weichen Summen an. Li setzte sich auf.
    Die Anstrengung brachte ihr Krämpfe ein, und sie hustete dicke Schleimklumpen aus. Ihr wurde klar, dass sie weder im Ringbereich noch auf Alba sein konnte; der Ring und das Truppenhauptquartier erforderten von jeder beliebigen Stelle in der Peripherie nur einen einzigen Sprung,
und Lis Lungen hätten sich nicht so furchtbar angefühlt, wenn sie nicht mehrere Sprünge und Aufenthalte hinter sich gehabt hätte. Wo befand sie sich also? Und warum war sie auf irgendeinem unbekannten Planeten der Peripherie gelandet, statt zur Rehabilitation nach Alba zurückzukehren?
    Sie schwang die Beine über den Rand des Behälters und spürte das kalte Gitter einer Bodenplatte unter ihren Füßen. Zumindest war sie ganz unten. Gott sei Dank für die kleinen Gnaden. Sie sah sich in der Kryobucht um. Über ihr ragten Batterien von Kryotanks in hell beleuchteten Honigwaben aus Zufuhrleitungen und Biomonitoren auf. Die meisten anderen Passagiere lagen noch auf Eis; die kalten grünen Kurven ihrer Vitaldaten zuckten in gleichmäßigem Rhythmus über ihre Statusmonitore. Die Virustahl-Bodenplatten vibrierten vom gedämpften Wummern ferner, im Leerlauf arbeitender Bussard-Triebwerke. Irgendwo außer Sichtweite war vermutlich gerade eine Rumpfmannschaft damit beschäftigt, die üblichen Checks nach einem Sprung durchzuführen, den Systemshutdown für die Replikation einzuleiten und den Sublicht-Schleppern, die das Sprungschiff aus den riesigen Krakenarmen des Feld-Arrays lösen würden, Signale zu übermitteln.
    Lis Uniform – oder besser: ein quantengetreues Replikat ihrer Uniform – lag in einem Schubfach unter ihrem Tank, sauber gefaltet und verstaut von einer Major Catherine Li der UN-Friedenstruppen, die nicht mehr existierte. In der rechten Hosentasche, wo sie ihn immer hineinsteckte, fand sie einen Wattebausch. In der linken Hemdtasche fand sie ihre Zigaretten, bereits ausgepackt von jener anderen Li, die wusste, wie schwach ihre Finger in letzter Zeit nach einem Sprung waren.
    Sie lehnte sich gegen den Tank, legte neben sich die Uniform zurecht und schnäuzte sich die Nase.

    Ein Schmerz schoss ihr durch die rechte Schulter, als sie eine Hand ans Gesicht hob. Sie berührte die Quelle des Schmerzes: acht Zentimeter verdicktes Narbengewebe, das sich vom Trizeps über die Schulterspitze zog. Es fühlte sich fiebrig an, und wenn sie den Kopf verdrehte, um es sich anzusehen, trat die Narbe auf ihrer braunen Haut weiß hervor.
    Das Abschiedsgeschenk von Metz. Sie hatte den Schützen gar nicht zu Gesicht bekommen, aber dieser eine Schuss hatte ihr Muskeln, Sehnen und Bänder zerfetzt und die Keramstahl-Fasern durchtrennt, die von der Schulter bis zu den Fingerspitzen reichten. Ihr Orakel berichtete, dass es fünf Wochen in den Tanks erfordert hatte, um die Verletzung zu heilen, aber alles, was sie aus diesen Wochen in Erinnerung hatte, waren ein wiederholtes schmerzhaftes Erwachen, die Fragen eines Arztes und grelle, bläuliche Lichtblitze wie unter Wasser.
    Sie zog ihre Uniform ohne allzu viel Fummelei über, aber als sie ihre Stiefel anzuziehen versuchte, wollten ihre Finger nicht richtig zupacken. Sie klemmte sich die Stiefel unter den unverletzten Arm und stakste den Gang entlang, schwankend wie ein notorischer Säufer. Grüne Pfeile wiesen den Weg zum Ausgang. Irgendwo am Ende des Korridors wartete sicher eine Tasse Kaffee und ein weicher Stuhl auf sie, in dem sie ihre traditionelle erste Zigarette nach dem Sprung rauchen konnte.
     
    Sie stolperte genau in dem Moment in die Passagierlounge, als der Transporter sich an seinen Schlepper ankoppelte und die langsame Drift bei Unterlichtgeschwindigkeit zur Peripherie des Feld-Arrays einsetzte.
    Li hatte genug Sprünge hinter sich, um das Protokoll zu kennen. Sie würden die glitzernden Kristallarme des Feld-Arrays hinter sich lassen, dann die Bussard-Triebwerke
starten und für das letzte Teilstück der Reise noch einmal auf

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