Lichtspur
erledigt. Sie waren immer riskant; Nguyen verlangte ein Maß an persönlicher Loyalität, das gelegentlich eine freimütige Auslegung, wenn nicht offene Verletzung der Vorschriften erforderte. Aber ihre Belohnungen waren großzügig. Und sie behielt Gefälligkeiten ebenso hartnäckig im Gedächtnis wie Reibereien.
Nguyens nächste Frage war gleichermaßen unerwartet wie unangenehm. »Sie stammen von Compsons Planet, Major?«
»Ja.« Li verlagerte unbehaglich ihr Gewicht. Mutter Gottes. Überallhin, nur nicht auf Compsons Planet.
»Waren Sie seit der Rekrutierung schon einmal zu Hause?«
Li antwortete nicht. Es war eigentlich keine Frage; Nguyen hatte freien Zugriff auf ihr Profil, und binnen fünf Minuten hätte sie mehr über Lis persönliches Leben in Erfahrung bringen können als Li selbst. Sofern man den Gerüchten über Gedächtnismanipulationen glauben konnte, die auf den Kasernenhöfen erzählt wurden.
»Warum nicht?«, fragte Nguyen.
Li wollte etwas sagen, verkniff es sich aber. »Es ist keine Heimat, zu der man gern zurückkehrt«, sagte sie.
»Keine Heimat, zu der man gern zurückkehrt.« Von Nguyens Lippen klang der Satz wie ein Rätsel. »Und jetzt verraten Sie mir, was Sie eigentlich sagen wollten und nicht auszusprechen wagten.«
Li zögerte. Ihre Lippen waren trocken; der Drang, sie zu lecken, war wie eine juckende Stelle, die sie früher oder später kratzen musste. »Ich wollte sagen, dass ich mir geschworen habe, lieber zu sterben, als dorthin zurückzukehren. «
»Ich hoffe, Sie sehen das inzwischen anders. Sie werden in gut vier Stunden an die ABG-Orbitstation in Compsons Umlaufbahn andocken.«
Nguyen streckte die Hand nach einem Silbertablett aus, auf dem eine Karaffe mit Eiswasser und zwei Kristallgläser standen. Sie goss ein Glas voll und reichte es Li, die es an ihre Lippen hob und dabei das Klirren von Eis an Glas hörte.
Das Wasser erfrischte sie, aber die Verbindung nach Alba war so mit Sicherheitsprotokollen überlastet, dass datenintensive Sinneseindrücke nur in Schüben übermittelt werden konnten. Sie nippte, spürte nichts, aber eine halbe Sekunde später, nachdem sie einen Schluck getrunken hatte, stieg ihr ein eiskalter Schauer in den Kopf, und sie setzte das Glas ab.
»Damit haben Sie vermutlich nicht gerechnet«, sagte Nguyen.
»Ich habe erwartet, dass ich auf Alba aufwachen würde. Ich müsste eigentlich auf Alba sein. Ich bin im Feldhospital nur notdürftig zusammengeflickt worden und müsste …«
»Alba wäre im Moment kein gutes Pflaster für Sie«, unterbrach Nguyen sie trocken.
Sie bemerkte Lis verwunderten Blick und hob eine makellos getrimmte Augenbraue. »Haben Sie sich den Bericht der Untersuchungskommission gar nicht angesehen? «
»Noch nicht. Ich …«
»Sie haben’s nach oben weitergereicht.«
»An wen oben?«
»Muss ich’s aussprechen, Major? Verlust von Personal unter Umständen, die auf ein Fehlverhalten des befehlshabenden Offiziers hindeuten. Benutzung einer tödlichen Waffe gegenüber einem Zivilisten. Benutzung einer nicht
autorisierten Waffe. Was haben Sie geglaubt, wo Sie sind, als Sie dieses Ding gezogen haben? Auf Gilead?«
»Die Kommission hat ein Verfahren vor dem Kriegsgericht empfohlen?«, fragte Li und hatte Mühe, den Gedanken in ihren Kopf zu bekommen.
»Nicht ganz.«
Nicht ganz. »Nicht ganz« bedeutete, dass die beteiligten Offiziere über die Aktion auf Metz Stillschweigen bewahren, dass sie alle Fakten und alle Zeugenaussagen auswerten wollten, bevor sie etwas bekannt gaben. Und sollte sich dabei nichts Entlastendes für Li ergeben, würde ihr niemand eine Träne nachweinen.
»Wann werde ich befragt?«, fragte sie.
»Sie haben bereits ausgesagt. Wir haben die Daten von Metz heruntergeladen und dem Büro des Verteidigers Ihre Back-up-Dateien übermittelt. Sie können Ihre extrapolierte Aussage noch korrigieren, wenn Sie wünschen, aber ich nehme an, darauf werden Sie verzichten. Ihr Anwalt hat gute Arbeit geleistet.«
»Stimmt«, sagte Li. Ihr war unwohl bei dem Gedanken, dass die Dateien auf diese Weise benutzt wurden. Ein Back-up war eben nur ein Back-up. Es wurde in einem orakel-kompatiblen Datencache abgelegt, erhielt Updates und Korrekturen und stand für den Fall bereit, dass die Medi-Techniker es benötigten. Es erschien mit Sicherheit nicht vor dem Kriegsgericht und machte auch keine Aussage, die Lis Karriere beenden konnte.
»Die Kommission hat noch keine Entscheidung getroffen«, erklärte Nguyen. »Man
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