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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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in ihrer eigenen Liste noch kein einziger Name stand. Aber Kolodny hatte nie etwas dem Zufall überlassen; sie hatte genaue Anweisungen für den Fall hinterlassen, dass es sie erwischte.
    Li hatte sich genau an die Anweisungen gehalten.
    Die Techniker waren zur Stelle, als die Stöpsel gezogen wurden; Kolodny war noch warm, als man ihr die wertvollen Schnipsel kommunikationsfähigen Kondensats aus dem Schädel entfernte. Li hatte eigentlich keinen Grund gehabt, sich darüber aufzuregen. Mein Gott, sie hatte selbst einige Male unter unangenehmen Umständen Bergungen durchgeführt. Aber es kam ihr trotzdem so vor, als hätten Geier nur darauf gewartet, Kolodny in Stücke zu reißen. Und als es vorbei war, hatten sie und Cohen den schlimmsten Krach ihres Lebens gehabt.
    Als sie in den Tank stieg, war sie vom Schock und von den schmerzdämpfenden Programmen ausgezehrt gewesen, und sie hätte das Gespräch mit ihm lieber aufgeschoben.
Aber er hatte darauf bestanden. Und er war so unverfroren gewesen, ihr mit technischem Jargon zu kommen, statt ihr Gründe zu nennen, Entschuldigungen statt Erklärungen.
    »Du hast uns fallen lassen«, hatte sie schließlich gesagt und sich kaum noch beherrschen können. »Und Kolodny ist deswegen gestorben.«
    »Ich war auch mit ihr befreundet, Catherine.«
    »Du hast keine Freunde«, hatte sie ihn angefahren, und zugleich hatte sich ihr der Magen umgedreht bei dem Gedanken, dass Kolodny vielleicht noch am Leben wäre, wenn sie selbst nicht zugelassen hätte, dass die Dinge zu persönlich wurden. »Du hast nicht die Hardware dafür.«
    »Mach mir keinen Vorwurf daraus, dass ich aus Software bestehe«, hatte er gesagt, obwohl er es besser hätte wissen müssen. »Das ist bigott.«
    »Es ist die Wahrheit. Das bist du nun einmal. Du bist dazu geschaffen, Menschen zu manipulieren und auszusaugen. Und ich habe die Schnauze voll davon!«
    Danach hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen. Li vermutete, dass er, sie oder beide zu weit gegangen waren, um noch Vergebung zu erwarten. Und sie wusste nicht recht, ob sie ihm überhaupt vergeben wollte. Oder ob sie wollte, dass man ihr vergab.
    Sie starrte unsicher die Betreffzeilen von Cohens Nachrichten an. Dann löschte sie sie, ungelesen und unbeantwortet.
     
    Ihr Komsys-Icon fing an zu blinken, als sie die Slowtime verließen. Der Anruf kam über ein chriffriertes Relais des Sicherheitsrats und trug keine Identifikation. Jemand wollte dringend mit ihr sprechen. Jemand, der so wichtig war, dass er beim Hauptquartier einen Privatkanal anfordern konnte.

    Sie wählte das Icon an, und unversehens fand sie sich in einem barocken Zimmer mit hoher Decke im Stil des zwanzigsten Jahrhunderts wieder. Ein fellartig gemusterter Marmorschreibtisch schwebte auf elegant geschwungenen Beinen über einem Kiefernholzboden, den Generationen von Offiziersstiefeln glatt poliert hatten. Jedes Bodenbrett war so breit wie Lis aneinandergelegte Hände, und sie waren im typischen Fischgrätmuster des Verwaltungsgebäudes ausgelegt, das der Sicherheitsdienst auf Alba unterhielt. Hinter dem Schreibtisch, die Hände auf den geschnitzten Blättern und Schnecken ihres Stuhls, saß General Nguyen.
    Sie war eine reservierte, elegante Frau mittleren Alters, sorgfältig jung gehalten. Selbst über ein Spinstrom-Interface fiel es schwer, sie nicht anzustarren. Die leicht gekrümmte Nase, die asymmetrischen Wangenknochen, der eigenartige Bogen ihrer linken Augenbraue erinnerten an die Unregelmäßigkeiten in einem Ballen Rohseide; sie unterstrichen ihre zerbrechliche, eindeutig menschliche Schönheit nur, statt sie zu beeinträchtigen.
    »Major«, sagte Nguyen mit einer Stimme, die wusste, wie man sich Gehör verschaffte. »Es ist schön, Sie zu sehen.«
    »General«, sagte Li.
    Jemand außerhalb des Stromraum-Projektionsfeldes flüsterte ihr etwas zu. »Gut«, erwiderte sie dem unsichtbaren Assistenten. »Sagen Sie dem Abgesandten Orozco, dass ich in fünf Minuten dort bin.«
    Sie wandte sich wieder Li zu. »Entschuldigung, Major. Ich stehe wie üblich unter Zeitdruck. Der Rat stimmt gerade über die Bewilligung von Mitteln fürs Militär ab, und ich muss dabei noch ein wenig Geburtshilfe leisten.« Sie lächelte. »Sie vermuten wahrscheinlich schon, dass ich einen kleinen Auftrag für Sie habe.«

    Li verzog ihr immer noch taubes Gesicht zu einer hoffentlich interessiert und erwartungsvoll dreinblickenden Miene. Sie hatte schon andere kleine Aufträge für General Nguyen

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