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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigen. Wenn es so weit war, würden sie in die Slowtime eintreten, den Kommunikationslimbus eines Schiffes, das sich mit Geschwindigkeiten bewegte, die Relativität zu einem mehr praktischen als theoretischen Problem machten. Sie wären vom Datenstrom abgeschnitten, hätten keinen Kontakt zum Stromraum und zum Rest der Menschheit, bis sie wieder in die Normalzeit zurückfielen.
    Li ließ sich in einen leeren Stuhl fallen, entzündete eine Zigarette und sah sich im Kreis ihrer Mitreisenden um. Zwei Friedenssoldaten hatten sich in eine Ecke zurückgezogen und spielten wortlos Karten. Die übrigen Passagiere waren Techniker, Konzernangestellte, Mittelklasse-Geschäftsleute. Leute, deren Kompetenz es den multiplanetaren Unternehmen lohnend erscheinen ließ, die Preise für Quantentransporte zu bezahlen, die sich aber noch nicht für eine Anstellung innerhalb des Rings empfohlen hatten.
    Es waren natürlich keine genetischen Konstrukte darunter. Teilkonstrukte konnten theoretisch die Beschränkungen für interplanetare Reisen umgehen und eine Freigabe als Firmenangestellte oder sogar für den Staatsdienst erhalten. Aber genetische Bewertungen waren nicht billig, und es kam nicht oft vor.
    Der einzige erkennbare Neomensch in der Lobby saß Li direkt gegenüber: eine große, dunkelhäutige Frau mit einer weißen Narbe auf der Stirn. Vermutlich aus Westafrika. Etwas an ihrem Knochenbau, ihrer langgezogenen Rückenlinie deutete auf strahlungsbedingte Mutationen hin, die die alten Generationenschiffe heimgesucht hatten – Schiffe, die nach Jahrhunderten im leeren Raum die Slowtime verlassen hatten, nur um festzustellen, dass die Menschheit inzwischen in die Frühzeit der überlichtschnellen Raumfahrt vorgestoßen war und ihre Zielplaneten bereits
ausgebeutet und von Schwärmen künstlicher Satelliten umkreist wurden, um den gefräßigen Moloch der Kommerzkultur im Ring zu füttern. Die Frau trug einen orangefarbenen Technikeroverall, aber ihr Haar war in straffen Zöpfen zurückgebunden, und sie führte komplizierte Berechnungen auf einer aufgeklappten Stromraum-Projektion durch. Eine Ingenieurin? Eine Bose-Einstein-Technikerin?
    Li rutschte auf ihrem Stuhl herum und fragte sich, warum die Frau nicht ein wenig Geld investiert hatte, um sich diese Narbe entfernen zu lassen. Sie war so hübsch, dass es sich gelohnt hätte. Nicht bloß hübsch, sondern schön.
    Sie bemerkte, dass Li sie anstarrte, und lächelte, wobei sich in den Winkeln ihrer schwarzen Augen Fältchen zeigten. Li sah weg, bemerkte aber noch, dass die Frau sie genauer betrachtete, als ihr Lis allzu gleichmäßige, allzu symmetrische Gesichtszüge auffielen. Nicht ohne die unausgesprochene Frage zu hören, die bei jedem Kennenlernen in der Luft hing: War Li ein Konstrukt oder nicht?
    Li hätte wieder aufblicken können. Sie hätte die Frau fragen können, wo sie sich gerade befanden, in welchen System sie andocken würden. Aber es hätte sich dumm angehört, eine ermüdende Variation einer uralten Standardphrase, um Gespräche zu eröffnen. Und man ging immer das furchtbare Risiko ein, zurückgewiesen zu werden. Li hatte immer Angst, dass andere – selbst Neomenschen, deren Gene von jahrhundertelangem Strahlenbombardement verändert waren – sie für ein Monstrum halten würden.
    Sie zündete sich noch eine Zigarette an und sah ihren Posteingang durch. Nachdem sie den Müll aussortiert hatte, blieben noch drei Nachrichten übrig. Ein Memo vom Feldhospital auf Metz, das sie darüber unterrichtete, dass man ihren Arm behandelt hatte – und was nicht behandelt worden war –, und ihr empfahlen, sich einem Gesundheitscheck
zu unterziehen, wenn sie ihren nächsten Einsatzort erreicht hatte. Eine undeutlich formulierte Notiz, dass die Untersuchungskommission ihren Abschlussbericht über den Vorfall auf Metz aufgeschoben hatte, bis weitere Fakten vorlagen. Außerdem drei Nachrichten von Cohen.
    Sie hatte seit Kolodnys Tod nicht mit ihm gesprochen. Sie hatten ihre Leiche geborgen, aber Dalloway hatte recht behalten: Man konnte nichts mehr für sie tun. Der Wet-Bug hatte so viel von ihrem Gehirn weggefressen, dass selbst Li, als die Medi-Techniker ihr die Scans zeigten, auf den ersten Blick erkannt hatte, dass nichts mehr zu machen war.
    Kolodny hatte Lis Namen auf die Liste ihrer nächsten Angehörigen in ihren Notfallpapieren gesetzt. Ohne ihr etwas davon zu sagen. Die Enthüllung hatte sie schockiert, nicht zuletzt deshalb, weil

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