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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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Der Fels ringsum schien zum Leben zu erwachen, knirschte und ächzte wie ein Haus, das auf Treibsand errichtet war. Irgendwie, auf unbegreiflichen Wegen, waren sie in das Bergwerk gelangt. Li versuchte sich an den Standort der Geburtslabors zu erinnern. Keine Stollen, keine Schächte, keine Gänge im Umkreis von einem Kilometer um den Komplex. Da war sie ganz sicher. Trotzdem befanden sie sich unter der Erde. Es konnte nur ein Teil des Bergwerks sein, der auf den offiziellen Karten nicht verzeichnet war. Und wenn Li ihren Implantaten trauen konnte, lagerte hier jemand aktive Kondensate.
    Der Gang mündete in einen anderen. Der Wächter hob seine Laterne; ihr Licht spiegelte sich in Pfützen aus Abflusswasser und holte die zackigen Hohlräume ausgebeuteter Kristalladern aus der Dunkelheit. Der Mann musste zweimal die Wände abgehen, bis er gefunden hatte, was er suchte: halb verblasste Markierungen, die auf Augenhöhe in den Fels gekratzt waren. Bevor die Laterne weitergetragen wurde, sah Li einen sichelförmigen Mond, eine Pyramide, ein achtbeiniges Tier.
    »Hier lang«, sagte er und schob die beiden Frauen nach links um die Ecke.
     
    Li hatte sich inzwischen so an die Dunkelheit gewöhnt, dass der erste Schimmer Tageslicht schmerzte. Sie stiegen geräuschvoll eine Flucht aus Gitterrosttreppen hinauf, gingen durch einen langen Korridor voller bloßliegender Kabel und erreichten eine hohe Stahltür, die von innen verschlossen war.

    Bella lehnte sich keuchend und zitternd an die Wand. Der Entführer griff in seinen Rucksack und reichte beiden ein zusammengerolltes Stück Stoff. »Zieht das an.«
    Li faltete es auseinander und stellte fest, dass es sich um einen Schador der Polykonfessionellen handelte. Sie wickelte sich die lange, grüne Stoffbahn um den Körper, bedeckte Kopf und Gesicht und half Bella beim Anziehen. Dann traten sie in den diesigen Sonnenschein eines späten Herbstnachmittags in Shantytown.
    Die nächste halbe Stunde hasteten sie durch eine verwirrende Abfolge von Gassen und Höfen und bewegten sich auf einem Spiralkurs immer tiefer ins Herz des alten Viertels hinein. Als Li gerade akzeptiert hatte, dass sie völlig die Orientierung verloren hatte und selbstständig nie mehr zurückfinden würde, kamen sie um eine Ecke und traten durch eine nackte Tür in einen niedrigen, dunklen Gang.
    Der Gang roch nach Rost und gekochtem Fleischersatz und war so dunkel, dass Li Bella hinter sich mehr hörte als sah. Der Wächter deutete auf eine geschlossene Luftschleuse am anderen Ende des Gangs, und Li legte ihre Hände auf das Tastfeld. Die Irisluke öffnete sich. Li stieg hindurch, geblendet von der staubigen, von Sonnenstrahlen durchzogenen Luft in der Kuppel dahinter – und sah genau den Mann, den sie hier erwartet hatte.
    Daahl.
    Als ihre Augen sich an die helle, dunstige Luft unter der Kuppel gewöhnt hatten, bemerkte sie, dass Cartwright hinter ihm in der halboffenen Luftschleuse stand – eine Luftschleuse, die nur in das kleine Büro führen konnte, wo sie vor weniger als einer Woche mit Daahl und Ramirez gesprochen hatte. Cartwright verlagerte unruhig sein Gewicht von einem Bein aufs andere, als sie eintrat, und verdrehte den Hals wie ein Hund, der fernen Schritten lauschte. In
diesem Moment wurde ihr bewusst, dass sie ihn noch nie außerhalb des Bergwerks gesehen hatte; hier oben im Tageslicht hatte er einen Blindenstock bei sich, und seine Augen wiesen eine unklare, milchige Tönung auf.
    »Was zum Teufel geht hier vor?«, fragte sie, als Bella hinter ihr in die Kuppel trat.
    Daahl beugte sich über ein Kommunikationsterminal auf dem Tisch. »Arkady?«, sagte er, als die Verbindung stand. »Sag ihm, wir sind so weit.«
    Einen Moment lang geschah nichts. Daahl und Cartwright starrten einfach nur über den Tisch hinweg und warteten. Li brauchte einige Sekunden, bis sie begriff, dass sie Bella beobachteten, nicht sie.
    Bella fuhr etwas zusammen, als das Overlay zustandekam, und dann war sie fort.
    »Hervorragend«, sagte Korchow und stand auf. »Wirklich hervorragend. Und die Entführung ist aufgezeichnet worden? Haben Sie es so überzeugend hinbekommen?«
    »Die Lösegeldforderung ist gerade unterwegs zur ABG-Station. Wir dürften in ein paar Stunden eine Antwort bekommen.« Daahl grinste. »Die Verhandlungen könnten sich natürlich eine Weile hinziehen.«
    »Stimmt«, sagte Korchow. »Ich würde sagen, damit ist unsere Geschäftsbeziehung dann wohl beendet.«
    »Nicht ganz«, sagte Daahl.
    Eine

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