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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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Handimplantat scannen zu lassen, und er ein Messer zog und erklärte, dass er es notfalls herausschneiden würde. Ein scheppernder, unruhiger Flug in einem Lander.
    Als sie aufwachte, waren sie immer noch in der Luft, und jemand hatte ihr eine Sauerstoffmaske übers Gesicht gezogen.
Sie schlug die Augen auf und sah aus der Vogelperspektive die Granitzacken des Johannesburg-Massivs, den gewaltigen, rot wogenden Ozean der Algensteppen. Sie zuckte zusammen und hatte das Gefühl, dass sie in einen Abgrund stürzte, dann blinzelte sie, verdrehte den Hals und verschaffte sich einen Eindruck von ihrer Umgebung.
    Sie befand sich auf dem Deck eines alten, für das Versprühen von Pflanzenschutzmittel umgebauten Sikorsky, eine Antiquität von der Erde, die man wahrscheinlich einmal bis aufs Getriebe zerlegt und im luftlosen Frachtraum eines längst verschrotteten Generationenraumschiffs verschickt hatte. Wie die meisten veralteten Fahr- und Flugzeuge auf Compson, die schon vor der Besiedlung im Einsatz waren, hatte man den Sikorsky so umgerüstet, dass er fossile Brennstoffe verwerten konnte – und wegen des grollenden Zitterns unter ihr vermutete Li, dass er seitdem für die Terraforming-Behörden als Saatmaschine im Einsatz war.
    Li war zwischen den Piloten- und Kopilotensitz gezwängt worden und schaute nun direkt durch die glatte Plexiglaswölbung der Windschutzscheibe hinaus. Als sie aufblickte, sah sie Louie am Steuer und Ramirez auf der anderen Seite, einen Navigationscomputer in der Hand und die Stirn gerunzelt.
    »Wo sind wir?«, fragte sie kratzig, und Ramirez sah zu ihr herunter.
    »Ich dachte, das Pflaster sollte länger vorhalten«, sagte er.
    Louie sah zu ihm hinüber und zuckte die Achseln. »Ist ein zähes Luder, was?«
    »Ich habe aber sonst niemanden. Und sie sollte erst aufwachen, wenn wir dort sind.«
    »Ja, und? Sie würde sowieso im Schlaf hinfinden.« Er lachte – ein Lachen, das für Li nicht mehr so freundlich klang wie bei früheren Gelegenheiten. »Das ist bei allen so.«
    Ramirez sah Louie über ihren Kopf hinweg düster an, und sie fragte sich, wer bei dieser Entführung eigentlich das Sagen hatte.
    Sie landeten zwanzig Minuten später auf einem staubigen, harten Gelände, das Li unnatürlich eben vorkam, bis sie begriff, dass es sich um eine ehemalige Shuttle-Landebahn handelte.
    »Wir sind da«, sagte Ramirez überflüssigerweise. »Wir steigen aus und gehen zu diesen Gebäuden hinüber, verstanden? Wenn Sie sich kooperativ verhalten, wird Ihnen nichts passieren.«
    Sie konnte wieder aus eigener Kraft laufen, und als sie voranstolperte und sich die Verschwommenheit aus den Augen zu blinzeln versuchte, konnte sie die dünnen Sohlen von Bellas Schuhen neben sich über den Asphalt schlurfen hören. Sie kannte diesen Ort, obwohl sie ihn nicht benennen konnte. Sie war schon hier gewesen, nicht einmal, sondern sehr oft. Sie wusste, dass der zerfurchte Fahrweg hinter der Landebahn durch die Vorberge bis nach Shantytown führte, ein Fußmarsch von ein paar Stunden durch die unkonvertierte Luft der Vorberge. Sie wusste, dass der steilwandige Canyon, der sich hinter diesem Höhenzug verbarg, eine von Wasser erodierte Steilwand aufwies, die sie und ihr Vater früher für Schießübungen benutzt hatten.
    Aber sie verstand erst ganz, wo sie hier waren, als sie den lang verlassenen Flugzeughangar sah, der über dem Laborgebäude aufragte und die Worte las, die einen atavistischen Kämpf-oder-Flieh-Reflex durch jede Zelle ihres Körpers strömen ließ:
    XENOGEN BERGWERK-TECHNOLOGIE
FORSCHUNGSABTEILUNG

XenoGen Forschungsabteilung: 26.10.48.
    D er ausgedehnte Laborkomplex war seit Jahrzehnten leer gestanden, und in dieser Zeit hatten sich hier die Ratten, Kakerlaken und Kudzu-Ranken breitgemacht. Als ihre Wächter sie in die hinteren Korridore bugsierten, stolperten Li und Bella über defekte Geräte und Büroutensilien, duckten sich unter herausgerissenen Kabeln und wateten durch Schneewehen aus zerkrümelten Dämmungskacheln.
    Die Luft war muffig von Schimmel und Rattendreck. Aber unter diesen Gerüchen – den Gerüchen, die Menschen und ihr tierischer Anhang gebracht hatten – konnte Li immer noch jenen scharfen Wüstengeruch wahrnehmen, der an ihre Kindheitserinnerungen rührte. Es war ein Geruch, den man nur hoch in den Vorbergen wahrnahm, unter der dunklen Mauer der Berge. Der Eigengeruch des Planeten. Compsons Planet eroberte die Geburtslabors zurück. So wie er diese Welt wieder zurückerobern

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