Lichtspur
drehte ihren Leib, benutzte Hände und Füße, um Halt zu finden. Dann trat sie mit voller Wucht aus und rammte mit den Schultern voran gegen die Luke. Sie spürte einen betäubenden Schmerz in der Schulter und ein kaltes Brennen, als habe man ihr eine Klinge in den Trizeps gebohrt. Sie rutschte ein Stück in die Rinne zurück und stieß noch einmal gegen die Luke. Sie gab ein wenig nach. Aber nicht genug. Nicht annähernd genug.
Zwanzig Meter unter ihr hörte sie ein Klicken, dann das Surren von Stromkreisen, die den Turbinen Energie zuführten. Sie versuchte ihre linke Schulter vorzuschieben, ihre verletzte zu schonen, hatte aber weder die Zeit noch den Platz, sich umzudrehen. Sie warf sich noch einmal gegen die Luke, mit der rechten Schulter zuerst. Ein kalter Schauer lief ihr von der Schulter den Arm bis ins Handgelenk
hinunter, und ihre Hand wurde taub … aber die Luke öffnete sich. Li glitt im selben Moment hindurch, als sich die Außenluke öffnete, und unversehens hing sie an der Wand über einem Algenbecken.
Eine volle Atmosphäre Luftdruck schlug die Gehrungsluke zu. Sie schnappte hinter Li mit der Wucht einer Bärenfalle zu, und sie stürzte in die helle, feuchte Luft der Hydrokultur-Kuppel.
02:53:19
Li kroch in einen geschützten Winkel zwischen den Stützstreben der Kuppel und einem Gestell voll überlaufender Algenbecken. Sie kauerte sich hin, schnappte nach Luft und wartete, bis sich ihre Implantate ein wenig beruhigt hatten und auch ihre Gedanken sich nicht mehr überschlugen.
Versuche, deine Situation einzuschätzen, und passe dich ihr an, ermahnte sie sich. Akzeptiere deine Lage und handele entsprechend. Sie hing hinter dem Zeitplan zurück. Irgendwer hatte ihnen fehlerhafte Informationen geliefert. Ihr rechter Arm war taub, schwach, nahezu nutzlos. Aber sie war in der Station. Sie hatte den gefährlichsten Teil der Aktion hinter sich, und der einzige Ausweg war ihr jetzt verschlossen.
Sie verschaffte sich einen Überblick über den hellen, sonnenbeschienenen Raum unter der Kuppel. Es war niemand zu sehen. Sie stand auf und ging ein Stück – und rutschte auf etwas Glattem und Feuchtem aus. Sie fand ihr Gleichgewicht wieder, sah zu Boden und entdeckte Blut, das von ihrer rechten Hand tropfte und sich auf dem Bodenbelag sammelte.
Ihre militärischen Viruglobuli würden ihr Blut zersetzen, verräterische genetische Spuren beseitigen und nur
ein steriles Standardplasma zurücklassen, das Feldsanitäter für ihre intravenösen Injektionen benötigten. Aber bis dahin war Blut auf dem Boden. Eine Menge Blut. Rosig rote Tropfen auf dem silbernen Bodenbelag, eine glänzende Spur, der die Wachleute folgen konnten – direkt zu ihr.
Sie öffnete den Reißverschluss ihres Druckanzugs, zog das Thermohemd hoch, das sie darunter trug, und riss es in Streifen. Das laute Geräusch ließ sie zusammenzucken. Der Stoff ließ sich leicht zerreißen und war elastisch genug, um als Druckverband zu dienen. Sie knotete einen Streifen um ihren Arm, schloss den Druckanzug wieder und achtete darauf, dass sie das reflektierende Visier aktivierte; es wäre nicht gut, wenn sie hier von Überwachungskameras gefilmt wurde. Als sie die Blutung gestillt hatte, begutachtete sie den Schaden an ihrem Anzug. Er reparierte sich selbst oder versuchte es zumindest. Aber der Riss war so groß, dass sie bezweifelte, ob die intelligenten Fasern wieder eine zuverlässige Abdichtung bilden würden. Und wenn der Anzug nicht druckdicht war, wie sollte sie je auf den Starling zurückkommen?
Sie schüttelte den Kopf und verdrängte alles außer den unmittelbarsten Problemen aus ihren Gedanken. Begib dich zum Laborcomputer. Und blute unterwegs nicht den Boden voll. Über den Druckanzug und alles andere würde sie sich Gedanken machen, wenn es so weit war.
Alba: 28.10.48.
03:12:09
Es war leicht, an den Computer heranzukommen. Li hatte damit gerechnet, dass ihr der DNA-Leser am Anfang des letzten Korridors Schwierigkeiten machen würde, aber zu ihrer Überraschung wurde das Isolationsfeld fast sofort abgeschaltet und ließ sie durch. Sie zitterte vor Anspannung. Wusste Nguyen mehr, als sie Li verraten hatte? Hatte sie noch ein As im Ärmel? Oder war hier etwas anderes am Werk?
Sie schlich durch den Korridor, gefasst darauf, dass ihr Wachmannschaften begegnen könnten, und suchte im Gewirr aus Kabeln und Rohrleitungen unter der Decke nach dem schwachen Pulsieren von Überwachungskameras. Nichts. Konnte ein
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