Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
Vom Netzwerk:
Minuten am Leben halten. Höchstens zwanzig. Die Amphibiengene, die man für Transporte im Kälteschlaf in ihre Chromosomen eingebaut hatte, würden ihr noch etwas mehr Zeit verschaffen. Aber
eine Stunde im Druckanzug, und es wäre gleichgültig, ob sie gefunden hatte, wofür sie gekommen war, oder ob Albas Sicherheitsdienst sie entdecken würde.
    Sie tippte mit den Fingerspitzen an die klingenartigen Turbinenarme, um sicherzugehen, dass sie nicht mehr unter Spannung standen. Sie fragte sich, wie Korchow es geschafft hatte, jemanden auf der Station in seine Pläne einzubeziehen. Entweder war Geld geflossen, und zwar jede Menge, oder Li war nicht die Einzige mit einem schmutzigen kleinen Geheimnis. Sie holte Luft und wurde sich schlagartig bewusst, dass im Anzug nur Luft für eine begrenzte Anzahl an Atemzügen war. Sie verdrängte alles bis auf die nächsten zehn Minuten aus ihrem Kopf. Dann zwängte sie sich durch den gezackten Halbkreis zwischen den Klingen in die Rinne dahinter.
     
    02:51:43
     
    Sie schob sich voran. Ihre Beine schmerzten, und ihre Lunge brannte. Sie versuchte möglichst schnell voranzukommen, aber sie musste gegen die volle Rotationsschwerkraft der Station anklettern, und in dieser Enge nützten ihre künstlich gesteigerten Kräfte und Reflexe wenig.
    Am Ende war es ihre Eile, die sie in Schwierigkeiten brachte. Sie erwischte eine falsche Abzweigung, verirrte sich in den schmalen Tunneln und landete in einem der seitlichen Belüftungskanäle, die die innere Blase umschlossen. Sie warf sich wie ein erschöpfter Lachs gegen das verstaubte Gitter eines Belüftungslochs. Sie war so nah dran. Sie konnte die Hefe riechen und spürte im Gesicht die weiche, aufsteigende Luft aus dem Algenbecken. Aber es war aussichtslos, eine Sackgasse. Und der einzige Ausweg führte zurück, den Schacht hinauf in die rotierenden Zähne der Turbinen.

    Ihr blieben noch vierzehn Sekunden, als sie die Abzweigung erreichte. Sie überhitzte sich. Ihre Implantate näherten sich dem roten Bereich, und am Rande ihres Sichtfelds blinkten Warnsignale. Ein Jammer. Entweder würden sie ausfallen oder nicht. Und wenn sie ausfielen, wäre Li nicht mehr hier, um es zu bedauern. Sie zog sich vorwärts. Ihre Implantate heulten, und ihr Herz pochte in einem Rhythmus, der ebenso hitzig und dringlich war wie die Warnsignale.
     
    02:52:38
     
    Ihr blieben noch weniger als zwölf Sekunden, als sie unversehens das Ende der Rinne erreichte und gegen die Gehrungsluke prallte.
    Sie wollte nicht nachgeben.
    Im ersten Moment vermutete Li, dass sie geschlossen war, dass der Mann auf der Station sie betrogen hatte. Dann sah sie das Problem: die Scharniere waren mit einem schmierigen Belag aus Staub, Haaren und organischen Substanzen aus den Hydrokulturbecken verklebt, all den Schwebestoffen, die von den Luftströmungen der Station mitgetragen und von den trägen Wirbeln der Entlüftungsschächte hinausgespült wurden.
    Jetzt, als sie es sah, war es so offensichtlich, dass sie sich am liebsten selbst in den Hintern getreten hätte. Aber die Dinge, die einen umbrachten, waren immer offensichtlich. Offensichtlich und dumm. Diese Tür war seit Jahren nicht mehr geöffnet worden. Vielleicht seit Jahrzehnten nicht. Nicht seit der letzten Schimmelepidemie. Und weil sie keine lebenswichtige Funktion erfüllte, war sie chronisch vernachlässigt worden. Ein System, das man übersehen konnte, ohne erwischt zu werden. Ein System, das ans Ende der Liste wanderte, wenn es ein Ersatzteil benötigte – und dort blieb.

    Korchows Kontaktmann hatte sein Versprechen gehalten; sie hatte das scharfe Klicken gehört, als sich der Riegel öffnete, und konnte immer noch die Hydraulik summen hören wie eine eingesperrte Fliege. Aber einen Schalter mit dem Namen und der Nummer des Ventils zu öffnen, war eine Sache, die Tür im Realraum zu öffnen, aber eine ganz andere. Und Li hing im Realraum fest.
    Sie steckte die Finger durch die Teile der Tür, die sie erreichen konnte, und schabte wie wild an den schaumigen Ablagerungen herum. Ihr Atem kratzte in ihrer Kehle. Ihre Nägel schabten über Metall. Cohen hatte sie ermahnt, dass sie leise sein sollte, dass sich in den Hydrokultur-Anlagen neben dem Ventil Leute aufhalten könnten, aber es kümmerte sie nicht mehr. Das ganze Universum hatte sich zu einem reinen und brennenden Wunsch zusammengezogen – hier lebend rauszukommen.
    Schließlich spürte sie, dass etwas nachgab. Sie wälzte sich in der engen Röhre herum,

Weitere Kostenlose Bücher