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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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gestutzten Dahlienbeets hinweg. Es sah aus, als ob
eine ungezähmte und nicht ganz freundlich gesonnene Präsenz in dieser Ecke des Gartens einen Brückenkopf eingerichtet und nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet hätte, um mit seinen dornigen Sprossen den ganzen Bogengang zu verschlingen. »Du solltest sie ausreißen«, sagte sie. »Sie werden alles überwuchern.«
    »Ich weiß.« Cohen lächelte schief. »Sie sind eigentlich Unkraut. Und sie haben sehr fiese Dornen. Aber das Problem ist, dass ich sie mag.«
    Li zuckte die Achseln. »Es ist dein Garten.«
    »Genau«, sagte Cohen. Er schlenderte auf das verwilderte Ende des Gartens zu und setzte sich auf eine Bank, die von einer besonders gefräßigen Moosrose bereits halb überwuchert war.
    Li machte im Garten die Runde und schaute in die Kisten und Schränke, die den Bogengang säumten. Sie fand Erinnerungen von einem halben Dutzend Leuten, die sie kannte: Nguyen, Kolodny, ein paar KIs, die sie bei Missionen der Friedenstruppen kennengelernt hatte. Selbst Sharifi. Aber nicht die eine Person, nach der sie suchte.
    »Kann ich es finden?«, fragte Cohen. Sie schaute über die Schulter und sah, dass er über sie lachte.
    »Wer sagt, dass ich nach etwas suche?«
    »Darf ich dir eine Rose schenken?«
    Er pflückte eine moosblättrige Blüte von einem Strauch hinter ihm und hielt sie ihr hin. Sie nahm sie ihm ab – aber als sie die Finger um den Stil schloss, wurde sie gestochen.
    »Mein Gott!« Sie sah auf ihre Finger. Blut quoll aus einem halben Dutzend Einstiche.
    »Es ist eine echte Rose«, sagte Cohen. Er bückte sich und hielt sie ihr vorsichtig noch einmal hin. »Echte Rosen haben Dornen. Deshalb duften sie so süß.«

    Sie hielt sich die Blüte an die Nase und roch daran. Dabei merkte sie, dass auch die Rose eine Erinnerung war. Eine Erinnerung an sie.
    Sie selbst vor sechs Jahren. Jünger, schlanker, aber sie. Dies war aber nicht die Li, die sie kannte; es war die Li, an die sich Cohen erinnerte. Die junge Offizierin, mit der er sich während ihrer ersten gemeinsamen, schweren Mission gekabbelt hatte. Ein dunkler Wirbelwind von einer Frau, hart, treibend, völlig unnachgiebig. Keine Person, die Li selbst sympathisch gefunden hätte. Eine Person, erkannte sie schlagartig, die Cohen nicht besonders gemocht hatte.
    »War ich wirklich so furchtbar?«, fragte sie.
    »Nur ein bisschen dornig.«
    »Sehr witzig.«
    »Das sollte kein Witz sein. Ich weiß noch, dass du meinem Ego ziemliche Blessuren verpasst hast.« Er grinste. »Dabei kommt mir ein bestimmter Vortrag von jemandem in den Sinn, der nicht mit Dilettanten zusammenarbeiten wollte.«
    »Erinnere mich nicht daran.«
    »Meine Liebe, schon vom Unterhaltungswert her war es sehr vergnüglich, eine Fünfundzwanzigjährige zu beobachten, die nicht einmal einen Schulabschluss hatte, aber über mich die Nase rümpfte.«
    »Da war ich aber nicht die Erste.«
    »Oh. Nun, sehr oft ist das reine Engstirnigkeit. Du hast mich allerdings persönlich abgelehnt. Das respektiere ich.«
    Etwas an seinem Lächeln veranlasste sie, den Blick sinken zu lassen und sich abzuwenden. Sie strich mit dem Finger über ein samtiges, weißes Blütenblatt, dann beugte sie den Kopf und hielt sich die Blüte an die Nase.
    Noch eine Erinnerung. Wieder sie, die sich mit einem wissenden Grinsen an die Tür einer Offizierskabine lehnte.
Es war der Abend vor ihrer ersten und letzten gemeinsamen Nacht. Sie erinnerte sich noch, wie sie dagestanden hatte. Sie erinnerte sich, dass sie durch die Kabine in Rolands goldene Augen geblickt und versucht hatte, sich cool zu geben, und sich fragte, was zum Teufel Cohen in ihr sah, immer noch halb davon überzeugt, dass das Ganze ein raffinierter Scherz auf ihre Kosten war.
    Aber jetzt sah sie die Szene durch Cohens Augen. Sie spürte, dass Rolands Knie zitterten und sein Atem sich beschleunigte. Und sie spürte noch etwas anderes hinter dem organischen Interface, etwas Reineres, Schärferes, Ehrlicheres. Als ob sich ein unendlich komplizierter Mechanismus justiert hatte, Bolzen einrasteten, Federn aufgezogen wurden, sich alles darauf einstimmte, dass sie seinen Blick erwiderte, ihn wollte, ihn wirklich machte. Einstimmte auf die verwirrende, betörende, genau kalkulierte Gewissheit, dass nichts mehr je wieder so sein würde wie zuvor, wenn sie ihn berührte.
    Mein Gott, dachte sie. Was habe ich mit ihm angestellt? Warum hat er mir nicht gesagt, was er fühlte?
    Aber sie hatte gewusst, was er fühlte, oder

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