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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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schwindelerregenden Abgrund und versuchte herauszufinden, wo der aktive Code aufhörte und die Kulisse anfing. Instinktiv verließ sie die VR-Ansicht und tauchte in die Zahlen ein.
    In ihrem Kopf drehte sich alles. Die Welt verbog und verzerrte sich um sie. Zahlen stürzten zu schnell auf sie zu, sodass sie sie nur als einen blendenden, lähmenden, schwindelerregenden Schmerz wahrnehmen konnte. Sie hatte es hier mit einem System zu tun, das nie für einen direkten Kontakt mit Menschen entworfen worden war, ein System, das überhaupt nicht bewusst geplant worden war, außer in frühesten, fernen Anfangsstadien. Es war nicht auf dieselbe Weise lebendig wie ein Mensch – so wie es die Verfechter von Bürgerrechten für KIs unentwegt behaupteten – , es war noch lebendiger. Noch lebendiger, noch komplexer, noch wandelbarer und widersprüchlicher. In jeder Beziehung mehr. Cohen musste verrückt gewesen sein, wenn er angenommen hatte, dass sie in diesem Mahlstrom existieren, geschweige denn funktionieren konnte.
    Sie stolperte und sackte schwer gegen das Geländer. Er legte eine Hand unter ihren Ellbogen und stützte sie. Im selben Moment wechselte ihr Gehirn wieder ins VR-Interface, so als habe jemand einen Schalter umgelegt. »Wir sollten nichts überstürzen«, sagte Cohen und zog sie vom Sims zurück.
    Sie starrte ihn für einen Moment an und fühlte sich wie ein Kind, das eine Hand ins Feuer gesteckt hatte und, als
ein allgegenwärtiger Erwachsener sie zurückzog, zu ihrer Überraschung feststellte, dass sie auf wundersame Weise unversehrt war.
    »Bist du in Ordnung?«, fragte er.
    Sie nickte und folgte ihm wieder hinein.
    An der inneren Wand der Halle ging, wie es schien, eine unendliche Reihe von Türen ab. Cohen stand immer noch hinter ihr, eine Hand auf ihrer Hüfte, sein Mund nur wenige Zentimeter von ihrem Ohr entfernt. »Schließ die Augen«, sagte er. Sie gehorchte.
    »Was hörst du?«
    »Wasser.«
    »Gut. Das ist der Brunnen. Siehst du ihn?«
    Sie drehte sich um und sah über ihre Schulter in den funkelnden Schatten des Säulengangs zurück. »Ja.«
    »Wenn du dich verirrst, folge einfach dem Geräusch des Wassers, und es führt dich hierher zurück. Also los. Wie viele Türen siehst du?«
    »Ich kann nicht …« Sie sah die Halle entlang und stellte fest, dass die scheinbar unendliche Anzahl von Türen nur eine Täuschung gewesen war. »Vierzig … achtundvierzig? «
    »Gut. Jede Tür ist ein separates Netzwerk mit seinem eigenen Gedächtnispalast. Jedes Zimmer in jedem Palast ist ein Verzeichnis. Jeder Gegenstand in einem Zimmer ist eine Datei. Verstanden?«
    Sie nickte.
    »Wenn du auf ein Netzwerk zugreifen willst, musst du die entsprechende Tür suchen. Wenn du ein bestimmtes Verzeichnis öffnen willst, musst du das richtige Zimmer betreten. Wenn du eine Datei brauchst, musst du die entsprechende Schublade, die Kiste, den Schrank öffnen, in dem sie gespeichert ist. Es funktioniert genauso wie die Standard-Benutzeroberfläche, die du in den Archiven der
Friedenstruppen benutzt hast … obwohl, wie ich zugeben muss, meine ästhetischen Instinkte den Designern der Friedenstruppen um einige Klassen überlegen sind. Aber vergiss nicht, dass du es immer noch mit einer intelligenten KI zu tun hast, wenn du eine dieser Türen öffnest. Und einige von ihnen sind weniger … zugänglich … als die Netzwerke, mit denen du vertraut bist. Wenn dich irgendetwas … nervös macht, kannst du jederzeit gehen. Immer. Komm einfach hierher zurück, schließ die Tür hinter dir, und du bist wieder allein.«
    »Von dir abgesehen.«
    Er lachte. »Du steckst im Bauch des Ungeheuers, mein Schatz. Ich bin immer hier. Ich bin hier.«
    Li schaute sich um. »Welche Tür soll ich öffnen?«
    »Welche du willst.« Hyacinthes kleiner Körper war so schmächtig, dass er zu ihr aufschauen musste, um ihr in die Augen zu sehen. Ein leises, verstohlenes Lächeln überflog sein Gesicht. »Versuch’s mit der letzten Tür.«
    Sie ging die Halle hinunter, strich dabei mit der Hand über den kühlen Marmor der Wände, das mit Schnitzwerk verzierte Hartholz der Türrahmen. An jeder Tür hing ein Schild: Netzwerkadressen, Toffoli-Nummern, Verzeichnisprofile. Die letzte Tür, wie eine Fußnote in den hintersten Winkel der Halle gezwängt, war mit nur einem Wort versehen: Hyacinthe . Li legte ihre Hand auf die Klinke, und die Tür öffnete sich auf ihre Berührung von allein, so als habe sie nur auf sie gewartet.
    Ein großer, heller, von

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