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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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Waschbecken in der Küche beugte und über den Preis der Filter klagte, die im Materiallager am Grubenkopf verkauft wurden. Ihre Mutter kochte Wasser auf dem Herd und reichte ihm ein Geschirrtuch, das er sich über den Kopf
legte, damit er ein wenig mehr Kohlestaub aushusten konnte.
    »Alles in Ordnung?«, fragte der Sicherheitsoffizier. »Manchmal halten nicht einmal die Filter den Staub zurück. «
    Sie nickte und steckte den Kopf zwischen die Knie.
    Als sie wieder aufblickte, hatte der Laster angehalten. Ein Durcheinander seltsam geformter Kisten und Kanister versperrte den Weg. Arbeiter eilten geschäftig hin und her, Männer und Frauen, die sich mit geübter Behändigkeit bewegten, aber für Bergleute zu dünn und zu sauber waren. Li sah genauer hin und erkannte einige der Geologen wieder, mit denen sie vorhin heruntergefahren waren.
    Nur eine Person im sichtbaren Bereich des Stollens hatte sich gesetzt. Eine schmächtige, schweigende Gestalt, die sich einige Schritte abseits des Geschehens auf einen Felsvorsprung gekauert hatte, mit ernstem Gesicht und schön wie eine Statue.
    Die Hexe.
    Als die Vorbereitungen abgeschlossen waren, stand sie auf, näherte sich der frischen Schnittkante, schloss die Augen und legte die Hände an den Fels. Li hatte schon einige Male gesehen, wie Hexen auf Kristalle einwirkten, aber bisher nur in illegalen Lagerstätten, auf die kein Konzern Anspruch erhob. Und die Hexen ihrer Kindheit hatten in Shantytown gelebt. Sie hatten es für Essen, einen Anteil an den Kondensateinschlüssen oder für ein wenig Wintersprit getan. Ihr Talent war das Ergebnis einer genetischen Laune der Natur gewesen, keine planmäßig herbeigeführte Fähigkeit.
    Die Hexe ging an der Schnittkante hin und her, hielt gelegentlich inne und hielt den Kopf schräge, als lausche sie nach etwas. Ihre blasse Haut hob sich von der rohen Kohle
ab. Das Licht ihrer Grubenlampe umgab sie wie ein Heiligenschein.
    Die Geometer und Geologen warteten angespannt ab. Immense Geldsummen standen auf dem Spiel. Wenn man sich zu früh von einer Ader abwandte, verlor man möglicherweise Millionen, ohne es zu wissen. Wenn man zu forsch heranging, blieben einem vielleicht nur ein paar Wagenladungen abgestorbener Kristalle, wertlos wie Quarz. Die Bergleute hatten jede sich anbietende Technik ausprobiert: Radiometrie, Röntgenstrahlen, Stichprobenbohrungen. Der Einsatz von Hexen war immer noch die einzige gangbare Methode, um aktive, funktionsfähige Kristalle aufzuspüren. Und die jährlichen Profitspannen ganzer multiplanetarer Unternehmen hingen von den Entscheidungen ab, die eine Hexe an der Schnittkante fällte.
    Die Hexe blieb an einer ganz unauffälligen Stelle der Wand stehen und drückte beide Hände gegen die Kohle. Sie wurden feucht, blutrot befleckt mit Schwefelwasser. »Hier«, sagte sie.
    Die Geometer stürmten an ihr vorbei, als hätte ein Sog sie erfasst. Sie brachten Sensoren an, schlossen Feedback-Schaltkreise und Sicherungen an. Li sah fasziniert zu, wie sich die Fräsen in die Kohle bohrten. Als sie Haas einen Blick zuwarf, erinnerte sie der erwartungsvolle, hungrige Ausdruck in seinem Gesicht an die alten Lieder, die Bergarbeiter sangen, wenn sie ein paar Whisky zu viel getrunken hatten, Lieder über Männer, die Kohle im Blut hatten, die nach der Arbeit unter Tage gierten wie ein Süchtiger nach Dope.
    Jeder im Gang verstummte, als die ersten Kristalle sichtbar wurden, blass, glänzend, unübersehbar. Ein Geologe lehnte sich an die Wand, hielt den Atem an und presste die Hand dagegen.
    »Und?«, fragte Haas.

    Der Geologe zog die Hand zurück, wischte sie sich an der Vorderseite seines Overalls ab und strich sich hinterher über die Stirn, als nehme er seine eigene Temperatur, bevor er die Hand noch einmal auf das Kondensat legte. Er schüttelte den Kopf.
    »Tot«, brummte jemand am Rande des Lichtkreises.
    Die Hexe hatte sich zurückgezogen, als die Geometer anrückten, und sank in sich zusammen wie ein Schauspieler, der aus der Rolle fiel. Sie reagierte kaum, als klar wurde, dass es sich um einen Fund toter Kristalle handelte.
    »Komm her«, sagte Haas zu ihr.
    Sie drehte sich gehorsam um, aber ihr Blick ging an Haas vorbei und richtete sich auf Li, starr wie eine Kompassnadel, die sich dem magnetischen Nordpol zuwandte. Ihre violetten Augen wirkten unter der Erde fast schwarz, jede Iris zu einer schmalen Linie um die riesigen Pupillen verkleinert. Und hinter der Pupille das blanke Nichts, als ob man direkt in

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