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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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war hier auf eine Schatzkammer gestoßen.
    Etwas strich an Lis Arm vorbei, und als sie herumwirbelte, sah sie gerade noch einen VR-Handschuh, der in einer langsamen Unterwasserströmung an ihr vorbeischwebte und seine Anschlusskabel hinter sich herzog. Sie bemerkte noch andere Ausrüstungsteile. Manche schwammen herum, andere lagen in einem dichten Gewirr von Stromleitungen und Input/Output-Leitungen über den ganzen Boden verstreut. Sie erkannte Seismometer, Geigerzähler, Quantenmonitore. Es war unmöglich, alles auf einen Blick in sich aufzunehmen, unter Wasser schon gar nicht. Sie unterteilte die Fläche in gedankliche Planquadrate, schwamm hin und zurück und versuchte alles so gut wie möglich zu registrieren. So würde sie bei ihrem nächsten Besuch immerhin wissen, ob jemand etwas verändert hatte – oder ob die Verantwortlichen so beunruhigt waren, dass sie lieber die Finger davon ließen.
    »Das dürfte reichen«, sagte sie, als sie die Leiter emporstieg. »Sie sollten diesen Abschnitt sperren, bis das Wasser abgelaufen ist und ich mir die Sache näher ansehen kann.«
    Haas’ Augen glänzten, als sie vom Lampenlicht angestrahlt wurden. »Ich habe beim Inspektor eine Anordnung zur Unterschrift liegen, damit wir auf dieser Ebene wieder
die Arbeit aufnehmen können. Die Elektriker kommen morgen, und wir machen weiter, sobald sie neue Leitungen gelegt haben. Ihre Autorität, Major, reicht nicht bis unter Tage, und hier ist meine Bereitschaft zur Zusammenarbeit erschöpft.«
    »Oh«, sagte Li. »Zu schade. Ich fürchte, ich muss die Verletzung der Sicherheitsvorkehrungen protokollieren.« Sie deutete auf die Streben und Träger des Gangs, die sich unter der Last bogen, aber noch hielten. »Diese Träger stehen drei Meter auseinander. Die UN-KBS-Regularien schreiben zweieinhalb vor. Außerdem sind mir an den Abzweigstellen Süd 2, Süd 8 und Süd 11 elektrische Leitungen ohne Erdung aufgefallen. Ich werde Ihnen eine vollständige Liste meiner Beanstandungen zukommen lassen, wenn wir wieder oben sind. Ich bin mir sicher, Sie wollen die Mängel umgehend beheben.«
    Es war natürlich reiner Bluff. Haas wusste so gut wie sie, dass die UN-Standortmannschaft der ABG für diese Verstöße bestenfalls einen kleinen Rüffel erteilen würde. Aber Li war die einzige UN-Angestellte vor Ort, und wenn sie eine offizielle Beschwerde einreichte, würde der ganze Papierkram, den er erledigen musste, um das Bergwerk wieder zu öffnen, über ihren Schreibtisch gehen – oder besser: auf ihrem Schreibtisch liegen bleiben, bis sie sich zum Unterschreiben aufraffte.
    Haas konnte sich ihr natürlich widersetzen. Aber das kostete Zeit. Und er würde damit implizit eingestehen, dass tatsächlich Verstöße gegen die Sicherheitsvorschriften vorlagen. Li ging davon aus, dass er dieses Risiko nicht eingehen würde. Nicht unmittelbar nach einem blutigen, von der Presse ausgiebig kommentierten Bergwerksunglück. Nicht solang Sharifis Leiche immer noch einige Kilometer von hier in der Leichenhalle von Shantytown lag.

    »Gut«, sagte Haas und zuckte die Achseln. »Schnüffeln Sie rum, so viel Sie wollen. Sie werden nur feststellen, dass Sharifi eine Idiotin war.«
     
    Als sie zur Wilkes-Barre-Ader zurückkehrten, war die zweite Schicht bereits mitten in der Arbeit. Die meisten Bergleute waren halbnackt, und ihre Körper glänzten wie Marmor in der brütenden Hitze drei Kilometer unter der Oberfläche. Sie arbeiteten schnell und legten auf Sicherheitsvorkehrungen wenig Wert. Kohleabbau war nicht unbedingt eine Zeitverschwendung, aber doch von untergeordneter Bedeutung, und man verwendete so wenig Zeit wie möglich darauf.
    Die wenigsten Männer, Frauen und Kinder trugen unter Tage Beatmer, und die Wenigen, die welche trugen, benutzten sie nur während ihrer spärlichen Pausen. Die übrige Zeit hingen die Gesichtsmasken mit ihrem Gewirr von Sauerstoffleitungen locker um schweißnasse Hälse. Der Körper brauchte allen Sauerstoff, den er bekommen konnte, um auf Tempo zu arbeiten, gebückt in schlecht belüfteten Tunneln, und auf Beatmer wurde als Erstes verzichtet, wenn die Zeit knapp wurde.
    Ohne darüber nachzudenken, löste Li ihren eigenen Beatmer.
    »Nicht«, sagte der Sicherheitsoffizier. »Hier schwirren Mutagene rum.«
    Sie betrachtete die Bergleute. Der Sicherheitsoffizier bemerkte ihren fragenden Blick und zuckte die Achseln.
    Aus Lis Wet-RAM kam eine Erinnerung hoch, die ihr den Magen umdrehte. Ihr Vater, der sich keuchend über das

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