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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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Schwindelgefühl des Flashbacks zu vertreiben. In diesem Moment sah sie es: ein gelbweißes Rechteck, das sich zwischen Bett und Schreibtisch verkeilt hatte. Sie fummelte daran herum, bis sie es endlich zu fassen bekam, und hob es auf.
    Ein Buch.
    Sie atmete den Staub, den Geruch ein, betastete das säurezerfressene Papier. Es war ein billiges Taschenbuch von der Sorte, wie sie immer noch in ärmeren Treuhandschaften gedruckt wurden. Und dies hier stammte aus Compsons inzwischen bankrottem Universitätsverlag. Li drehte es um und grinste, als sie den Autorennamen und den Titel las: Zach Compsons Xenograph .
    Es war natürlich ein Klassiker – ein Buch, das die Phantasie der Menschen so sehr gefesselt hatte, dass sie Compsons Planet immer noch nach dem extravaganten Neuseeländer benannten, während die anonyme Langstrecken-Erkundungsmannschaft, die den Planeten tatsächlich entdeckt hatte, längst in Vergessenheit geraten war.
    Sie schlug das Buch aufs Geratewohl auf und las einen Abschnitt, den Sharifi oder ein früherer Besitzer unterstrichen hatte:
    Man erzählte mir, dass es einmal einen Mann gab, der einen singenden Stein besaß. Überall, wohin ich kam, erzählte man mir von diesem Stein. Woher er kam. Was er bedeutete. Wie der Mann ihn gefunden hatte.
    Sie erzählten mir, dass es an den dunklen Orten der Erde Kathedralen gab. Räume, in denen die gläsernen Knochen der Welt die Stille wie ein Fluss bewahren, wo Steine einander die Geheimnisse der Welt zuflüstern. Und wo jene, die sie hören, einfach bleiben und zuhören und sterben.

    Aber einige kommen zurück. Sie steigen singend von den Bergen herab. Mit Steinen in den Händen.
    All dies haben sie mir erzählt, aber ich habe den Mann nie gefunden.
    »Kristalldrusen«, brummte Li. »Er redet über Kristalldrusen. « Sie durchblätterte das Buch. Es war eselsohrig und zerfetzt. Jemand hatte es immer wieder gelesen, mit Sternchen versehen und seine Lieblingspassagen angestrichen.
    Hatte Sharifi schon von der Kristalldruse gewusst, bevor sie gekommen war? Hatte sie etwas in Compsons halb mystischem Geraune über Glasknochen und singende Steine gesehen, das niemand sonst verstanden hatte? War sie deshalb auf Compsons Planet zurückgekehrt?
    Li legte das Buch auf Sharifis Schreibtisch. Sie stand auf, legte das Wet/Dry-Interface in sein Kästchen zurück und steckte es zusammen mit Sharifis Notizbuch in die Bauchtasche ihrer Uniform. Sie ging zur Tür. Im letzten Moment drehte sich noch einmal um, nahm Sharifis verschlissenes Xenograph -Exemplar und steckte es sich ebenfalls in die Tasche.
    Sie stellte das Sperrsiegel so ein, dass es ihr eine Nachricht schickte, wenn jemand eindrang. Dann ging sie in ihr eigenes Quartier zurück, zog sich saubere Shorts und ein T-Shirt an und ließ sich auf ihre schmale Koje fallen. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, unter die Decke zu kriechen.
     
    Sie hatte kaum zehn Minuten geschlafen, als das Icon, das mit den Wanzen in Haas’ Büro verknüpft war, aktiviert wurde und sie aufweckte.
    Sie maximierte den Video-Input ihrer aktiven Pigmente und hatte Haas vor Augen, hemdsärmelig hinter seinem leuchtenden Schreibtisch.

    Er redete gerade mit jemandem: eine schmächtige Gestalt, die ihr Gesicht halb von Li abgewandt hatte. Selbst im Halbdunkel konnte Li ihre blasse Haut erkennen, das dunkle Haar, das ihr so dicht und zart wie Vogelflügel über die Schultern fiel.
    »Ich hab’s ihr nicht gesagt«, murmelte die Hexe. »Ich schwöre es. Ich habe es niemandem gesagt.« Die Anspannung in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
    »Das hoffe ich für dich«, antwortete Haas.
    Er hob eine Hand, und die Frau zuckte zusammen, als habe er sie geschlagen. Selbst Li, die drei Speichen weiter in ihrem Bett lag, spannte die Muskeln an, als würde sie einen Schlag kommen sehen.
    Haas wandte sich ab und zuckte die Achseln. »Meine Güte«, sagte er. Er verschwand aus dem Sichtfeld der Wanzen, und Li hörte Eis in einem Glas klirren, als er sich einen Drink eingoss. »Was für ein Tag. Ich muss mich entspannen. « Eine Pause trat ein. Haas war immer noch nicht zu sehen. »Komm her.«
    Die Hexe drehte sich um, bewegte sich aber so langsam, dass Haas wieder am Schreibtisch stand, bevor sie einen Schritt auf ihn zugekommen war.
    »Zieh das aus«, sagte er.
    Sie knöpfte ihr Kleid auf und ließ es zu Boden fallen.
    »Leg dich hin.«
    Sie legte sich auf den Schreibtisch, passiv wie ein Kind.
    »Nein«, sagte er. »Nicht so.«
    Er griff über

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